Unerkannte
Depressionen
Suizid ist in den meisten Fällen
der finale Akt einer Depression,
neun von zehn Suizidopfer leiden
an einer Form der Depression. Geschätzte
400.000 Menschen in Österreich
sind generell von Depressionen
betroffen, dabei sind diese
– einmal diagnostiziert – heute gut
behandelbar. Selbsttötung ist in Österreich
v. a. ein männliches Phänomen,
besonders gefährdet sind
ältere Männer. Frauen hingegen
unternehmen zwar häufiger Selbsttötungsversuche,
diese enden aber
seltener fatal. Die Identifikation von Risikopatienten, so die Expertenrunde,
wäre auch Aufgabe der Ärzte
und hier speziell der Allgemeinmediziner.
Daten zeigen, dass mehr als
die Hälfte der Suizidopfer vor ihrer
Tat Kontakt zu einem Arzt suchte.
Doch nur wiederum die Hälfte der
Hilfesuchenden hatte von ihrem
Arzt ein Antidepressivum erhalten.
„In der Hand der Allgemeinmediziner
liegt das Erkennen der Warnsignale
einer Depression – auch wenn
diese von körperlichen Symptomen
maskiert werden“, so Dr. Barbara
Degn, Präsidentin der Wiener
Gesellschaft für Allgemeinmedizin.
Dazu sei es nötig, gezielt nach dem
seelischen Wohlbefinden zu fragen,
etwa nach Traurigkeit, Schlafstörungen,
innere Unruhe, Verzweiflung
oder Lebensüberdruss. Unbehandelt führt eine Depression
bei jedem Zehnten zum Suizid.
„Jede mittlere und schwere Depression
stellt eine Indikation für eine
medikamentöse antidepressive Therapie
dar. Diese Medikation bildet
häufig die Voraussetzung für eine
Psychotherapie“, so Univ.-Prof. Dr.
Siegfried Kasper, Medizinische
Universität Wien. Moderne Antidepressiva
wie SSRIs sind sehr gut
wirksam und wenig toxisch und
bilden damit eine wichtige Säule
der Suizidprophylaxe. So ist die Suizidrate
in Österreich seit Jahren
gegenläufig zu der Anzahl der verstärkt
verordneten Antidepressiva.
„Wichtig ist dabei, dass SSRIs auch
in hohen Dosen nicht zum Suizid
geeignet sind – im Gegensatz zu den Trizyklischen Antidepressiva“,
so Prof. Kasper. Von Vorteil sind, so
der Experte, SSRIs mit einem möglichst
schnellen Wirkungseintritt,
wie etwa Escitalopram, das bereits
nach zehn Tagen Wirkung zeigt.
Von besonderer Bedeutung ist
auch die Aufklärung der Bevölkerung:
„Depression muss als Krankheit
wie ein Hypertonus oder ein
Diabetes gesehen und behandelt
werden. Bei Depressionen handelt
es sich zwar um ein psychisches
Problem, das aber nicht nur psychologische
Ursachen hat, sondern das
auf Veränderungen im Gehirnstoffwechsel
basiert,“ so Prof. Kasper.
Die erfolgreiche Behandlung einer
Depression setzt ein Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patienten
voraus. „Es ist wichtig, dem Patienten
immer wieder Lebensziele und
Wertinhalte vor Augen zu führen“,
betont Univ.-Prof. Dr. Christian
Simhandl, KH Neunkirchen. Viktor
Frankls Prinzip „Trotzdem Ja zu Leben sagen“ kann gerade für suizidgefährdete
Menschen auf der psychologischen
Ebene Motivator sein.
Suizidgedanken sind
keine SchandeChefarzt Dr. Stefan Rudas,
Leiter des Psychosozialen Dienstes
Wien (Notruf: 01/31330): „Beinahe
jeder Mensch hat sich im Laufe
seines Lebens mit Suizidgedanken
beschäftigt. Es ist also keine Schande,
solche Gedanken zu haben, aber
es ist wichtig, darüber zu reden!“.
Der Psychiater tritt auch zwei weit
verbreiteten Vorurteilen entgegen.
So glauben nach wie vor viele Ärzte,
dass das Ansprechen von Suizidgedanken
durch den Arzt die
Patienten erst auf die Idee bringen
könnten. Dr. Rudas dazu: „Richtig
ist vielmehr, dass, das Ansprechen
von Suizidgedanken, dem Patienten
hilft, über seine Probleme zu sprechen.“
Ebenso falsch ist, dass wer
über Suizid spricht, keinen Versuch
unternimmt. Im Gegenteil, viele
Selbstmorde werden angekündigt
und können so, wenn richtig reagiert
wird, verhindert werden.
„Die Kommunikation mit suizidalen
Patienten ist für jeden Arzt lernbar.
Das neue Medizinstudium weist hier
schon Verbesserungen in der Fortbildung
auf. Auch die Ärztekammern
bieten auf diesem Gebiet immer wieder
Fortbildungsveranstaltungen an“,
so Dr. Degn. Für November wird ein
State of the Art-Papier zu diesem
Thema erwartet.