Fotograf Iwan Baan über Momente der Architektur Ausstellung im Vitra Museum

Wenn eines der ganz großen Architekturbüros eines der ganz großen Projekte vorstellt, sind es regelmäßig Fotos von Iwaan Baan, die einen ersten Eindruck vermitteln. Der Niederländer zählt seit einer Zusammenarbeit mit Architekt Rem Koolhaas vor etwa 20 Jahren zu den bedeutensten Architekturfotografen, und schon eine Durchsicht der Aufnahmeorte seiner Fotoprojekte kann selbst reisefreudige Menschen schwindelig machen. Natürlich fehlen die bekannten Aufnahmen der Werke von Architekturbüros wie SANAA, Toyo Ito, Steven Holl, Selgas Cano, Diller Scofidio + Renfro, Sou Fujimoto und OMA aus allen Teilen der Welt nicht in Baans erster Retrospektive im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Daneben aber präsentiert er in umfangreichen Bildserien Projekte über das Wachstum globaler Megacitys oder über traditionelle, teils informelle Bauten. In der Masse der mehr als 700 ausgestellten Fotos wird deutlich, dass Baan vordergründig zwar Architektur fotografiert, dass sein visuelles Interesse aber vor allem den Menschen gilt und deren unterschiedlichem Verständnis von lebenswerten Räumen. Im Gespräch mit FAZ.NET erklärt Iwan Baan seine Arbeitsweise, die der klassischen Dokumentarfotografie näher steht, als es die oft publizierten Einzelfotos architektonischer Großprojekte vermuten lassen. Was ist Ihr Ziel, wenn Sie Architektur fotografieren? Ich bin in der Dokumentarfotografie ausgebildet und eigentlich eher zufällig zur Architekturfotografie gekommen. Das beeinflusst sicherlich, wie ich meine Arbeit angehe, egal ob Auftrag oder persönliches Projekt. Mich treibt immer die Neugier auf einen Ort und auf die Menschen an, die dort Zeit verbringen. Vor allem interessieren mich Fragen wie: Warum steht ein Gebäude an einem Ort? Wie leben die Menschen damit? Wie fügt es sich in seine Nachbarschaft ein? Ich möchte zeigen, wie sich Menschen in und um diese Orte herum verhalten, welche Ereignisse dort im Laufe eines Tages passieren können. Gerade die Aspekte, die Architekten nicht wirklich kontrollieren können, sind für mich oft die interessantesten. Mir ist bewusst, dass ich mich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt dort befinde, und ich möchte das Leben rund um die Architektur so einfangen, wie es sich genau in diesem Moment abspielt. Ich versuche also im Grunde, eine visuelle Geschichte rund um ein Gebäude zu erzählen, die am Ende erklärt, warum es dort steht und welchem Zweck es dient. Gerne kehre ich auch noch einmal zurück, lange nachdem ein Gebäude gebaut wurde. Dann wird es für viele Menschen zu einer beiläufigen Kulisse, und es geht nicht mehr primär um die Architektur, sondern noch viel mehr darum, wie mit einem Entwurf gelebt wird. Wie ein Ort dann auf Arten genutzt wird, die nicht geplant werden konnten, das wird für mich ein Teil der Geschichte. Sind die Architekten, die Sie beauftragen, mit Ihrem subjektiven Blick und dem weiten Fokus stets einverstanden? Zum Glück arbeite ich mit Architekten zusammen, die meine Sichtweise verstehen und mir die Freiheit geben, ihre Gebäude so zu dokumentieren, wie ich sie sehe. Natürlich kommt es vor, dass ein Architekt oder Auftraggeber einige wenige Bilder auswählt, die dann das öffentliche Bild eines Gebäudes prägen. Was viele Menschen in Zeitungen und Architekturmagazinen sehen, ist stets nur ein Ausschnitt meiner Arbeit, und es kann andere Aspekte geben, die ich interessant finde, die aber für einen Architekten nicht wichtig genug sind, um sie zu kommunizieren. Deshalb freue ich mich, in der Ausstellung im Vitra Design Museum auch andere Aspekte meiner Arbeit zeigen zu können. Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Gebäude fotografieren? Nutzen Sie eine spezielle Ausrüstung? Meine Ausrüstung ist sehr leicht. Ich arbeite grundsätzlich weiterhin so, wie ich es als Dokumentarfotograf getan habe. Meist habe ich nur eine Schultertasche dabei, mit kleinen Kameras und ein paar Objektiven. Der ganze andere Ballast, also Assistenten, Stylisten oder was auch immer, das wäre für meinen Fokus nicht gut. Das Fotografieren selbst ist dann ein sehr intuitiver Prozess. Ich versuche möglichst unvoreingenommen an einen neuen Ort zu reisen, ohne vorher zu viele Informationen darüber zu haben. Die Architekten, mit denen ich zusammenarbeite, schaffen mit ihren Bauten oft eine völlig neue Umgebung, und es ist interessant, wie die Menschen sich dazu verhalten oder darauf reagieren. Der perfekte fotografische Moment kann viele verschiedene Formen annehmen. Ein gutes Bild ist für mich vergleichbar mit einem Puzzle, dessen einzelne Teile zusammenpassen müssen. Das Wetter ist zum Beispiel ein Teil davon. Aber mir geht es gerade nicht um Bilder im perfekten Licht oder während des Sonnenuntergangs. Nach einer Weile kann die blaue Stunde etwas ermüdend sein. Ich lasse mich lieber auf unterschiedliche Lichtstimmungen ein. Wichtig sind für mich Menschen, die mit einem Raum interagieren, ein Auto davor, ein paar Müllsäcke. Solche ungeplanten Elemente sind gleichberechtigter Teil der Komposition und der Geschichte, die ich über einen Ort erzählen möchte. An einem bestimmten Punkt habe ich dann das Gefühl, hey, hier passt alles, und es vermittelt meinen subjektiven Eindruck von diesem Ort. Das Leben macht ein Foto interessanter als das perfekte Licht. Mir geht es um Momentaufnahmen von Normalität und Alltäglichkeit, die ich festhalten möchte und die einen Gegensatz zu der oft außergewöhnlichen Architektur darstellen. Auch deshalb heißt die Ausstellung „Momente der Architektur“. Suchen Sie bei einem Projekt ein Einzelbild, bei dem alle diese Elemente zusammenkommen, oder betrachten Sie Ihre Arbeit eher als Bildserie? Meine Arbeit ist oft in Sequenzen unterteilt, dann geht es darum, wie man sich einem Ort nähert. Von weiten Aufnahmen aus einem Hubschrauber über der Stadt, auf denen ein Haus nur wenige Pixel groß ist, bis hin zu Nahaufnahmen der Bewohner eines Ortes. Ich achte darauf, dass jedes meiner Projekte genug Tiefe, Entdeckungen und unterschiedliche Ebenen hat, sodass ich daraus ein eigenes Buch machen könnte – von Details zu Übersichten, von Menschen und ihren Hinterlassenschaften bis hin zur Topographie und Landschaft. In der Ausstellung, insbesondere im zweiten Raum mit den hohen Decken, haben wir eine Art Explosion der Bilder inszeniert. In Gruppen nebeneinander hängen in intuitiver Weise Aufnahmen von Bauten unterschiedlicher Architekten, teilweise auch aus ganz unterschiedlichen Orten der Welt. Diese Gruppierungen geben einen Einblick in meine Art, Architektur und Räume zu betrachten. Es gibt andere Teile der Ausstellung, beispielsweise im Raum zu verschiedenen Metropolen der Welt, in denen die Sequenzen zu jedem Thema eigene kleine Geschichten erzählen, eher in einer Art und Weise, wie man sie für ein Buch verwenden würde. Die vier Räume in Ihrer Ausstellung sind inhaltlich und auch in ihrer Gestaltung sehr unterschiedlich. Würden Sie zustimmen, dass sich jeder Raum als kleine Einzelausstellung betrachten lässt? Ja, fast. Ich meine, das sind alles sehr unterschiedliche Aspekte meiner Arbeit, die unterschiedlich präsentiert werden mussten. Aber sie verfolgen in gewisser Weise alle den gleichen Ansatz. Deshalb wollte ich einen Weg finden, sie einzeln und doch zusammen zu zeigen. Das war eine großartige Chance, die das Museum bot. Die Räume haben viele optische Verbindungen untereinander. Als wir vor einem Jahr mit der Planung der Ausstellung begannen, habe ich unter anderem vorgeschlagen, alle Verbindungen zwischen den Räumen zu öffnen, die in den letzten 30 Jahren größtenteils geschlossen waren, um die Wandfläche zu maximieren. Und auch die großen Deckenfenster lassen erstmals seit Jahren viel natürliches Licht in die Ausstellung. Ich wollte das Museum wieder in diesen ursprünglichen Zustand versetzen, denn in meiner Arbeit dreht sich ja alles um geplante Räume und ungeplantes Licht. Mir gefällt auch, dass man das Museum betritt und vom Eingang aus bereits Bilder sehen kann, die in verschiedenen Ecken im letzten Raum im zweiten Stock hängen. Mir wird oft gesagt, dass ich so viele verschiedene Projekte fotografiere, aber für mich sind sie in gewisser Weise alle gleich: In meiner Arbeit geht es darum, wie Menschen auf der ganzen Welt in völlig unterschiedlichen Umständen leben. Es ist alles eine Feier des Raums. Haben Sie ein Lieblingsbild oder Lieblingsprojekt in der Ausstellung? Das ist immer schwierig zu sagen, und das war auch eine Herausforderung bei der Zusammenstellung dieser Ausstellung. Ich musste fast 20 Jahre meiner Arbeit mit Architekten durchschauen. Das waren also unendlich viele Bilder, und die erste Auswahl umfasste 15.000 Bilder. Letzten Endes sind etwa 700 Fotos ausgestellt und dazu mehrere Slideshows, es sind also immer noch viele Bilder zu sehen. Aber um die Frage zu beantworten: Ich denke, vielleicht sind es die Projekte im letzten Raum. Sie alle sind für mich faszinierend, mit diesen sehr unterschiedlichen Ideen zu gebauter Umgebung und darüber, was normal ist oder wie wir leben können oder wie wir einen Raum schaffen. Zum Beispiel diese Felsenkirchen in Lalibela in Äthiopien, die vor 900 Jahren mit unglaublicher Weitsicht und Planung senkrecht in den Fels gehauen wurden: Architektur durch Subtraktion. Im Grunde genommen wurde neuer Raum geschaffen, indem Materialien entfernt wurden. Oder das Kumbh-Mela-Fest, dieses Festival in Indien, bei dem sechs Wochen lang eine temporäre Megacity für Millionen von Menschen gebaut wird, die sich fast wie eine echte Stadt anfühlt und funktioniert. Und dann, nach diesen Wochen, verschwindet alles, und es wird buchstäblich weggespült und taucht 12 Jahre später wieder auf. Was ist Ihr nächstes Projekt? Zunächst sind da die verschiedenen Auftragsarbeiten für Architekten, die mich in ganz verschiedene Orte der Welt bringen. Aber am wichtigsten sind mir Buchprojekte, weil ich eine Idee zu einem Ort wirklich ausarbeiten kann. Im Moment beende ich die Arbeit an einem Buch über Rom und Las Vegas, in dem ich diese beiden Orte vergleiche und untersuche, wie sie sich im Laufe der Jahre und Jahrhunderte verändert haben oder eben nicht verändert haben. Es erscheint diesen Frühling bei Lars Müller Publishers. Iwan Baan. Momente der Architektur. Vitra Design Museum, Weil am Rhein; bis 3. März. Der Katalog kostet 59 Euro.