Betriebsübergang (Deutschland)

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Der Rechtsbegriff des Betriebsübergangs kennzeichnet den Wechsel des Inhabers eines Betriebs oder Betriebsteils durch eine im weitesten Sinne rechtsgeschäftliche Vereinbarung. Die entsprechenden europarechtlichen Richtlinien aus den Jahren 1977 und 2001 haben zu einer weitgehenden Vereinheitlichung dieses Begriffs im gesamten Rechtsraum der EU geführt und zu einer Angleichung der einzelnen nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei einem Betriebsübergang regeln. Im deutschen Arbeitsrecht wurde erstmals im Jahr 1972 mit § 613a BGB eine entsprechende Regelung aufgenommen, die dann später im Wege der Umsetzung der EG-Richtlinie 77/187 EWG vom 14.02.1977 und vor allem zuletzt durch die Richtlinie [http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2001/l_082/l_08220010322de00160020.pdf 2001/23 EG] vom 23.03.2001 ergänzt wurde.


Sinn und Zweck

Sinn und Zweck der Regelung des § 613 a BGB ist es, den sozialen Besitzstand der Arbeitnehmer zu erhalten und ihnen einen lückenlosen Bestandsschutz zu gewähren, den Bestand des Betriebsrats und seiner Mitbestimmungsrechte zu wahren und Haftungsregelungen für Arbeitnehmeransprüche gegen den alten und den neuen Betriebsinhaber zu gewährleisten sowie mit den zum 01.04.2002 eingefügten Regelungen der Abs. 5 u. 6 den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern die Entscheidungsgrundlage für Ausübung ihres Widerspruchsrechts zu gewährleisten.


Anwendungsbereich

Anwendbar ist § 613 a BGB auf alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs rechtlich bestehenden Arbeitsverhältnisse, also alle Arbeitnehmer (auch die leitenden Angestellten). Freie Mitarbeiter, Handelsvertreter, Organmitglieder (Geschäftsführer und Vorstände) und Beamte unterfallen nicht dem Schutzbereich des Gesetzes.


Voraussetzungen eines Betriebsübergangs

Inhaberwechsel

Ein Betriebsübergang liegt nur vor, wenn eine Änderung in der Person desjenigen erfolgt, der arbeitsrechtlich die Organisations- und Leitungsmacht über den Betrieb ausübt, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine natürliche oder eine juristische Person handelt. Anwendbar ist die Regelung auch bei Übernahmen von Einrichtungen innerhalb der öffentlichen Verwaltung, bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen oder bei der Rückübertragung privatisierter Einrichtungen auf einen öffentlichen Träger. Nicht ausreichend ist eine bloße Veränderung in der Rechtsform eines Betriebsinhabers oder ein Wechsel von Gesellschaftern einer GmbH. Auch in Fällen der Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung von Unternehmen findet in der Regel § 613 a BGB Anwendung (vgl. § 324 UmwG).

Betrieb

In der Rechtsprechung lange umstritten war die Definition des zweiten Tatbestandsmerkmals des Betriebs- bzw. Betriebsteilübergangs. Auf Grundlage der Definition der Richtlinie 2001/23 EG gilt als Übergang i.S.d. Richtlinie der Übergang einer ihrer Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit i.S. einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Auf Grundlage dieser Definition hat der Europäische Gerichtshof (EuGH). Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entscheidend darauf abgestellt, ob eine wirtschaftliche Einheit vorhanden ist, die trotz des Inhaberwechsels ihre Identität bewahrt hat. Für die Prüfung dieses Merkmals wurden vom Europäischen Gerichtshof sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung berücksichtigt. Er hat dabei namentlich auf die Art des betreffenden Unternehmens oder des Betriebs, den Übergang oder Nichtübergang der materiellen Vermögenswerte (Gebäude, bewegliche Güter), den Wert der immateriellen Vermögenswert zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft, den Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft, sowie auf den Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit abgestellt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG), das in seiner früheren Rechtsprechung im wesentlichen darauf abgestellt hatte, ob der Erwerber die wesentlichen materiellen Betriebsmittel übernommen hat und das Schicksal der Arbeitnehmer des Betriebs regelmäßig nicht berücksichtigt hat, hat sich erstmals mit einer Entscheidung vom 22.05.1997 der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen. An die Stelle des früheren Betriebsbegriffs ist damit auch in der deutschen Rechtsprechung das Merkmal der auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit getreten und als entscheidendes Kriterium für die Rechtsfolgen des § 613 a BGB die Wahrung der Identität dieser Einheit nach dem Inhaberwechsel. In welchen Fällen danach ein Betriebsübergang anzunehmen ist, hat das Bundesarbeitsgericht bis in die jüngste Zeit in zahlreichen unterschiedlichste Branchen und Betriebe betreffenden Einzelentscheidungen im Rahmen einer jeweils im Einzelfall vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des jeweiligen Betriebes herausgearbeitet. Dabei geht die Rechtsprechung des BAG davon aus, dass ein Betriebsübergang nicht vorliegt, wenn beim Erwerber lediglich eine bestimmte Tätigkeit fortgeführt wird, ohne dass einer auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit mit einer bestimmten Organisationsstruktur übernommen wird. In diesen Fällen liegt dann eine bloße Funktionsnachfolge vor, die keinen Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang darstellt.

Rechtsgeschäft

Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 613 a BGB ist, dass der Übergang durch einen rechtsgeschäftlichen Akt (also einen zivilrechtlichen Vertrag) zustande kommt. Wenn der Übergang auf einem Gesetz oder einem Verwaltungsakt beruht (wie in Fällen der öffentlich rechtlichen Funktionsnachfolge), soll die Anwendbarkeit des § 613 a BGB ausscheiden. Nicht erforderlich ist allerdings, dass der Betriebsübergang nur durch ein Rechtsgeschäft ausgelöst wird, der Inhaberwechsel kann sich vielmehr auch aus einem Bündel von Rechtsgeschäften, auch von mehreren Rechtsgeschäften mit mehreren Dritten ergeben (wenn etwa Namens- und Markenrechte in einem Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber übergehen, Betriebsanlagen über zwischengeschaltete Maschinenhändler erworben werden und das Betriebsgrundstück durch einen Pachtvertrag mit dem Grundstückseigentümer).


Unterrichtungspflicht und Widerspruchsrecht

Gemäß dem mit Wirkung zum 01.04.2002 neu in das Gesetz aufgenommenen § 613 a Abs. 5 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer über den Betriebsübergang, seinen Zeitpunkt, den Grund des Übergangs und die Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer zu unterrichten. Jeder Arbeitnehmer kann innerhalb eines Monats nach dieser Unterrichtung dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses schriftlich widersprechen. Widerspricht ein Arbeitnehmer rechtzeitig, geht sein Arbeitsverhältnis nicht auf den Betriebserwerber über, sondern er bleibt weiterhin Arbeitnehmer des Betriebsveräußerers. Dadurch besteht für den widersprechenden Arbeitnehmer das Risiko einer betriebsbedingten Kündigung, wenn der Betriebsveräußerer nicht über einen anderen Arbeitsplatz verfügt. Kommt es zu einer solchen betriebsbedingten Kündigung, löst der Widerspruch regelmäßig die Verhängung einer Sperrzeit beim Bezug von [Arbeitslosengeld] aus.


Rechtsfolgen des Betriebsübergangs

Wichtigste Rechtsfolge ist, dass das Arbeitsverhältnis in seinem gesamten Bestand und mit allen Rechten und Pflichten einschließlich der beim Veräußerer zurückgelegten Betriebszugehörigkeitszeiten auf den Erwerber übergeht. Dieser Bestandsschutz wird zusätzlich durch ein Verbot der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen eines Betriebsübergangs abgesichert. Von diesem Kündigungsverbot unberührt bleiben zulässige Kündigungen aus anderen Gründen, etwa einem Rationalisierungskonzept, das vom Betriebsveräußerer im Vorfeld eines geplanten Betriebsübergangs umgesetzt wird. Jedenfalls in der Insolvenz soll nach einer neueren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts es sogar zulässig sein, dass der Betriebsveräußerer mit einem Rationalisierungskonzept, das erst der Betriebserwerber realisieren kann, trotz eines geplanten Betriebsübergangs betriebsbedingte Kündigungen zu begründen.

Soweit übergehende Arbeitsverhältnisse durch Regelungen von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen bestimmt sind, verlieren diese kollektivvertraglichen Regelungen mit dem Betriebsübergang ihre unmittelbare und zwingende Wirkung und gehen mit dem Inhalt in die Arbeitsverträge der übergehenden Arbeitnehmer ein, den sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten (Transformation von Kollektivrecht in Einzelvertragsrecht). Vor Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang ist eine Veränderung solcher transformierten Regelungen zum Nachteil des Arbeitnehmers weder im Wege einer Änderungskündigung noch durch Änderungsvertrag möglich. Solche Vereinbarungen sind nichtig.

Diese individualrechtliche Fortgeltung kollektivrechtlicher Regelungen ist aber ausgeschlossen, wenn zu den entsprechenden Fragen beim Betriebserwerber bereits eine kollektivrechtliche Regelung besteht. So verdrängt ein etwa beim Erwerber wegen dessen Tarifbindung bestehender, (auch schlechterer) Lohntarifvertrag günstigere Lohntarifregelungen, die beim Veräußerer gegolten hatten (etwa im Fall des Outsourcing einer Kantine eines tarifgebundenen Metallbetriebs auf einen Betrieb des Verbands der Systemgastronomie: Absenkung der Metalltariflöhne auf die Tariflöhne der Systemgastronomie). Entsprechendes gilt für Regelungen in Betriebsvereinbarungen. Soweit im aufnehmenden Betrieb bereits ein Betriebsrat existiert und entsprechende Betriebsvereinbarungen vorhanden sind, verdrängen diese Betriebsvereinbarungen unabhängig davon ob sie günstiger oder ungünstiger sind, die früheren Betriebsvereinbarungen im Betrieb des Veräußerers.