Henning Börm
Kontinuität im Wandel
Begründungsmuster und Handlungsspielräume der iranischen
Monarchie in arsakidischer und sasanidischer Zeit
Im Herbst des Jahres 531 n. Chr. starb in seinem Palast in Ktesiphon der Herrscher des Sasanidenreichs, Kavad I., eines natürlichen Todes. Damit stellte sich die
Frage nach seinem Nachfolger. Und diese Frage war heikel.*
Nach Kavads Dahinscheiden scheint sogleich sein ältester Sohn Kawus die
Nachfolge beansprucht zu haben. Doch laut dem zeitgenössischen griechischen
Geschichtsschreiber Prokop von Caesarea wies der Aristokrat Mehbod in dieser
Situation darauf hin, dass ein rechtmäßiger Herrscher nur durch die Akklamation
– Prokop spricht von ψῆφος – der persischen Großen (λόγιμοι) erhoben werden
könne.1 Und als diese sich versammelt hatten, verlas Mehbod ein Schreiben, das
der sterbende König verfasst und ihm anvertraut habe. Kavad wünschte sich demnach, dass sein drittgeborener Sohn Chosrau den Thron besteigen solle.2 Beeindruckt von dieser Inszenierung, so Prokop, rief die Adelsversammlung diesen daraufhin in der Tat zum König aus, doch es überrascht nicht, dass Chosrau (531–
579) kurz darauf mit mindestens einem Usurpationsversuch konfrontiert war. Die
persische Aristokratie war offensichtlich in zwei oder drei Lager gespalten, die
sich um verschiedene Prinzen gruppierten.3
Diese Vorgänge verraten viel über den Charakter der sasanidischen Monarchie.
Denn obwohl eine Alleinherrschaft im vorislamischen Iran nach Ausweis der
*
Ich danke Stefan Rebenich sehr herzlich für die Einladung zur Münchner Tagung und den übrigen Teilnehmern für wertvolle Anregungen. Für wichtige Hinweise und Kommentare bin ich
daneben Stefan Hauser und Elisabeth Hüls zu Dank verpflichtet.
1 Prok. Hist. 1,21,17–22. M. E. verdient Prokops Bericht, der sich zumindest teilweise mit der
übrigen Überlieferung deckt, hier grundsätzlich Vertrauen; vgl. Henning Börm: Prokop und die
Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike.
Stuttgart 2007, S. 111–119. Vgl. zu Prokops Quellen zuletzt Dariusz Brodka: Prokop von Kaisareia und seine Informanten. Ein Identifikationsversuch. In: Historia 65 (2016), S. 108–124.
2 Vgl. zu Chosrau, einem der bedeutendsten sasanidischen Herrscher, nun die Beiträge in Christelle Jullien (Hg.): Husraw Ier. Reconstructions d’un règne. Sources et documents (= Studia Iranica, Bd. 53). Paris 2015.
3 Seinen Mentor Mehbod ließ Chosrau übrigens wenige Jahre später hinrichten; Prok. Hist. 1,23,25–
29. Man mag sich hier etwa an die Vorkommnisse in Nordkorea im Dezember 2013 erinnert fühlen,
als Kim Jong-Un den Gatten seiner Tante, Jang Song-Thaek, hinrichten ließ, der zuvor als Graue
Eminenz des Regimes und starker Mann hinter dem unerfahrenen jungen Staatschef gegolten hatte.
DOI 10.1515/9783110463859-023
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Quellen unbestritten als die einzig legitime Regierungsform galt und auch die
Bindung der Macht an nur eine einzige Familie in Persien eine Selbstverständlichkeit war,4 bedeutete dies doch keineswegs, dass es keine offenen Fragen zur
Thronfolge gab. Denn niemals gelang es, eine eindeutige und unbestreitbare Sukzessionsordnung, etwa ein „Le roi est mort, vive le roi“, durchzusetzen. Dies
wurde auch im Jahr 531 n. Chr. deutlich: Die Vorstellung, dass der älteste Sohn
grundsätzlich den Vorzug verdiene, war im Sasanidenreich zwar nicht unbekannt.5 Doch die Primogenitur gab nicht den Ausschlag; und das Gleiche galt
auch für die Designation durch den Vorgänger, die zwar häufig – so im geschilderten Fall – erfolgreich war, oft genug aber nicht.6 Der formal entscheidende Akt
war die Akklamation;7 dies zeigte sich auch 531 n. Chr. Aber im Unterschied zu
einem römischen Kaiser konnte ein persischer Großkönig seinen Nachfolger offensichtlich nicht zu Lebzeiten ausrufen lassen, um für klare Verhältnisse zu sorgen: Anders als im Imperium Romanum war im Sasanidenreich normalerweise
keine Samtherrschaft möglich.8 Weil die Auswahl des Nachfolgers also weder
automatisiert war noch vorgezogen werden konnte, folgte auf den Tod jedes Königs ein unvermeidliches Interregnum; und weil es dank Polygamie überdies niemals einen Mangel an eligiblen Prinzen gab,9 war mithin jeder Herrscherwechsel
grundsätzlich eine Phase höchster Spannung.
4
Strabon berichtet Entsprechendes über die Arsakiden (Strab. 16,1,28). Für die Sasaniden bestätigen dies nicht nur westliche Autoren wie Theophylakt (5,4,13), sondern auch orientalische
Quellen wie Tha‛alibi (683 und 733 f.).
5 Dies bestätigt so auch Prokop (Hist. 1,11,3).
6 Die Bedeutung der Designation betonen orientalische und chinesische Quellen; vgl. Börm: Prokop (wie Anm. 1), S. 115–117. Wiederholt, so etwa 293, 309 oder 421 n. Chr., setzte sich die Adelsversammlung allerdings über den Willen des Vorgängers hinweg. Dass sich auch ein erfolgreicher
Herrscher wie Kavad I. nicht sicher sein konnte, dass sein Wunschkandidat erwählt werden würde, belegt der Versuch des Königs, Chosraus Chancen auf den Thron zu vergrößern, indem er
plante, den Prinzen durch Kaiser Justin I. adoptieren zu lassen. Chosraus Gegner vereitelten dies
jedoch. Vgl. allgemein zur Thronfolge im Sasanidenreich Philip Huyse: Die königliche Erbfolge
bei den Sasaniden. In: Philippe Gignoux u. a. (Hg.): Trésors d’Orient. Paris 2009, S. 145–157.
7 Auch wenn diese Akklamation wohl oft eine bloße Formalität war, konnte es während des
Rituals, wie sich 531 zeigte, durchaus zu Überraschungen kommen. Vgl. Henning Börm: Das
Königtum der Sasaniden – Strukturen und Probleme. Bemerkungen aus althistorischer Sicht. In:
Klio 90 (2008), S. 423–443, hier: S. 433 f.; Huyse: Erbfolge (wie Anm. 6), S. 154 f.
8 Eine Samtherrschaft stellt innerhalb einer monarchischen Ordnung allerdings nur dann eine
tragfähige Lösung dar, wenn die Hierarchie unumstritten ist. Im Imperium Romanum wurde es
spätestens im 4. Jh. n. Chr. üblich, Kaisersöhne bereits früh zum Augustus zu erheben; es war
augenscheinlich schlicht unmöglich, den leiblichen Sohn eines Herrschers bei der Nachfolge zu
übergehen; vgl. Henning Börm: Born to be Emperor. The Principle of Succession and the Roman
Monarchy. In: Johannes Wienand (Hg.): Contested Monarchy. Integrating the Roman Empire in
the 4th Century AD. Oxford 2015, S. 239–264. Bestand ein Kaiserkollegium allerdings aus mehreren direkten Nachkommen eines Imperators, so kam es in der Regel zu Konflikten und Rangstreitigkeiten, die bis zum Bürgerkrieg eskalieren konnten. Vgl. dazu Henning Börm: Westrom.
Von Honorius bis Justinian. Stuttgart 2013, S. 39 f.
9 Die Herrscher unterhielten in der Regel einen „Harem“; vgl. Alireza S. Shahbazi: Art. Harem.
I. In Ancient Iran. In: EncIr, Bd. 12 (2004), S. 1 f. Neben der Verwandtenehe (xwēdōdah) spielte
auch die Stellvertreterzeugung (stūrīh) eine wichtige Rolle für den Fortbestand adliger Geschlech-
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Aber auch nach der Thronbesteigung blieb der König gefährdet. Denn grundsätzlich galt jeder männliche Nachfahre des Dynastiegründers als prinzipiell herrschaftsfähig; an potentiellen Prätendenten, um die sich Unzufriedene scharen
konnten, fehlte es also nie.10
Nicht zuletzt der Umstand, dass diese Grundkonstellation nicht nur die sasanidische, sondern allem Anschein nach auch die ihr vorangehende arsakidische Monarchie über Jahrhunderte prägte, legt nahe, die Bedeutung des Dynastiewechsels
im 3. Jahrhundert n. Chr. nicht zu überschätzen, sondern die parthisch-persische
Geschichte eher als Einheit zu betrachten. Zugleich ist angesichts der beeindruckenden Langlebigkeit dieses Reiches offenkundig, dass es immer wieder gelang,
tragfähige Lösungen zu finden: Der Verdacht liegt nahe, dass antike Großreiche –
im Unterschied etwa zu griechischen Poleis – einer monarchischen Ordnung geradezu notwendig bedurften; dies scheint auf Arsakiden und Sasaniden ebenso
zuzutreffen wie auf das Imperium Romanum11 oder die hellenistischen Monarchien.12 Die Antworten, die die iranischen Könige im Laufe der Zeit auf die skizzierte strukturelle Herausforderung gaben, waren dabei durchaus verschieden und
lassen sich grob in mehrere Phasen unterteilen. Im Folgenden soll es darum gehen, diese Zäsuren aufzuzeigen.
ter; vgl. A. Doug Lee: Close-kin Marriage in Late Antique Mesopotamia. In: GRBS 29 (1988),
S. 403–413; Maria Macuch: Herrschaftskonsolidierung und Zoroastrisches Familienrecht. Zum
Verhältnis von Kirche und Staat unter den Sasaniden. In: Christiane Reck/Peter Zieme (Hg.): Iran
und Turfan. Beiträge Berliner Wissenschaftler, Werner Sundermann zum 60. Geburtstag gewidmet. Wiesbaden 1995, S. 149–167; dies.: Zoroastrian Principles and the Structure of Kinship in
Sasanian Iran. In: Carlo Cereti u. a. (Hg.): Religious Themes and Texts of Pre-Islamic Iran and
Central Asia. Wiesbaden 2003, S. 231–245.
10 Die herausgehobene Rolle der Herrscherfamilie und die gleichzeitige Neigung zu Bruderkriegen wurde bereits vom Zeitgenossen Ammianus Marcellinus wahrgenommen; vgl. Jan Willem
Drijvers: Ammianus Marcellinus’ Image of Sasanian Society. In: Philip Huyse/Josef Wiesehöfer
(Hg.): Ērān ud Anērān. Studien zu den Beziehungen zwischen dem Sasanidenreich und der Mittelmeerwelt. Stuttgart 2006, S. 45–69. Er ignorierte dabei bemerkenswerterweise, dass zu seiner
Zeit längst nicht mehr Arsakiden, sondern Sasaniden auf dem Thron saßen; vgl. Amm. 23,6,6; vgl.
auch Alain Chauvot: Parthes et Perses dans le sources du IVe siècle. In: Michel Christol u. a.
(Hg.): Institutions, société et vie politique dans l’Empire Romaine au IVe siècle apr. J.-C. Rom
1992, S. 115–125. Dass die Zugehörigkeit zur Dynastie eine notwendige Bedingung war, bedeutete übrigens auch einen gewissen Schutz für all jene Großen, die keine Sasaniden waren: Sie konnten nur schwer bezichtigt werden, eine Usurpation zu planen. Das Festhalten am dynastischen
Prinzip war mithin auch im Interesse der Aristokratie und stärkte – bei aller Adelsrivalität – wohl
auch die Standessolidarität gegenüber dem Herrscherhaus.
11 Das Römische Reich ist selbstverständlich ein problematisches Beispiel, da es in Rom während
der Hauptphase seiner Expansion keine Alleinherrschaft gab. Die Frage, ob die Etablierung des
augusteischen Prinzipats eine Konsequenz der Errichtung des Imperiums war, kann hier nicht
angemessen erörtert werden.
12 Umgekehrt gebietet natürlich nicht jeder Alleinherrscher über ein Imperium. Es versteht sich,
dass dies nicht der Ort sein kann, um diesen augenfälligen Zusammenhang zwischen monarchischer und imperialer Herrschaft zu klären. Mutmaßlich spielt aber die Heterogenität der beherrschten Gruppen und Gebiete eine wichtige Rolle: Je schwächer eine gemeinsame Identität
ausgeprägt ist, desto geringer ist die Legitimität von Mehrheitsentscheidungen, auf die nicht-monokratische Ordnungen angewiesen sind.
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Die Arsakiden
Hinsichtlich der parthisch-arsakidischen Periode der iranischen Geschichte ist
man bei einem solchen Unterfangen mit erheblichen Problemen konfrontiert,13
denn die Quellenlage ist sehr schlecht.14 Die überlieferten griechisch-römischen
Zeugnisse interessieren sich nur am Rande für die Parther und bieten überdies ein
von ethnographischen Topoi verzerrtes Bild voller Missverständnisse.15 Die orientalische Überlieferung wiederum ist durch den Dynastiewechsel von 224 n. Chr.
geprägt: Nachdem die aus der Persis (Fars) stammenden Sasaniden die Arsakiden
vom Thron gestoßen hatten, gaben sie sich alle Mühe, ihre Vorgänger als Fremdherrscher, „Teilkönige“ und Schwächlinge zu delegitimieren, ihr Andenken zu
verdunkeln und sogar ihre Herrschaft nachträglich abzukürzen.16 Aufgrund dieser Schwierigkeiten kann man zur arsakidischen Zeit sehr viel weniger gesicherte
Aussagen treffen als zu der der Sasaniden.17 Wenn man von diesen auf jene zurückschließt und damit zugleich eine Kontinuität zu belegen versucht, besteht
13
Die derzeit wohl beste monographische Darstellung zum Partherreich ist André Verstandig:
Histoire de l’Empire Parthe. Brüssel 2001; wichtige Beiträge enthält auch Vesta Curtis/Sarah Stewart (Hg.): The Age of the Parthians. London 2007. Eine konzise Einführung in den Forschungsstand bietet nun Stefan R. Hauser: The Arsacids (Parthians). In: Daniel Potts (Hg.): The Oxford
Handbook of Ancient Iran. Oxford 2013, S. 728–750.
14 Mittlerweile liegt allerdings eine große Zahl an Zeugnissen gesammelt und in kommentierter
Übersetzung vor; damit wurde die Forschung zu den Arsakiden auf eine neue Grundlage gestellt.
Vgl. Ursula Hackl u. a. (Hg.): Quellen zur Geschichte des Partherreiches. Textsammlung mit
Übersetzungen und Kommentaren. Göttingen 2010. Lesenswerte Beiträge zu wichtigen Quellen
versammelt Josef Wiesehöfer (Hg.): Das Partherreich und seine Zeugnisse. Stuttgart 1998.
15 Vgl. dazu Charlotte Lerouge: L’image des Parthes dans le monde gréco-romain. Stuttgart 2007.
16 Die Arsakidenära nahm ihren Ausgang vom 14. April 247 v. Chr. Agathias (Hist. 2,26,1), dessen um 580 n. Chr. verfasster Bericht angeblich auf den sasanidischen Reichsannalen beruht, gibt
dennoch an, zwischen dem Reichsgründer Arsakes I. und dem letzten arsakidischen Großkönig
Artabanos IV. seien nur 270 Jahre verstrichen; vgl. Averil Cameron: Agathias on the Sasanians. In:
DOP 23/24 (1969/1970), S. 69–183. Und Tabari (I,813) berichtet, dass die ihm vorliegenden zoroastrischen Texte behaupteten, zwischen Alexander und Ardaschir I. hätten 266 Jahre gelegen.
17 Die Quellenlage zu den Sasaniden ist weitaus besser als für die Arsakiden, aber auch unübersichtlich. Einen nützlichen Überblick zur Primärüberlieferung bietet Carlo Cereti: Primary Sources for the History of Inner and Outer Iran in the Sasanian Period. In: Archivum Eurasiae Medii
Aevi 9 (1997), S. 17–71. Neben die sasanidischen Inschriften, die archäologischen Zeugnisse, die
Münzen sowie die Überreste der einst reichhaltigen mittelpersischen Literatur und späte arabische Autoren wie Tabari oder Masudi treten dabei die Darstellungen griechisch-römischer Autoren wie insbesondere Cassius Dio, Herodian, Heliodor, Ammian, Prokop, Agathias, Menander
Protektor, Johannes Malalas, Theophylakt und das Chronikon Paschale. Vgl. zu den sasanidischen Inschriften: Michael Back: Die Sassanidischen Staatsinschriften. Leiden/Teheran 1978; Philip Huyse: Die dreisprachige Inschrift Šābuhrs I. an der Ka‛b-i Zardušt [ŠKZ]. London 1999. Vgl.
zu den archäologischen Zeugnissen: Dietrich Huff: Art. Archaeology IV. Sasanian. In: EncIr,
Bd. 2 (1987), S. 302–308; Ali Mousavi/Touraj Daryaee: The Sasanian Empire. An Archaeological
Survey, c. 220–640 AD. In: Daniel Potts (Hg.): A Companion to the Archaeology of the Ancient
Near East. Malden 2012, S. 1076–1094. Vgl. zu den Münzen: Nikolaus Schindel: Sasanian Coinage. In: Potts (Hg.): Handbook of Ancient Iran (wie Anm. 13), S. 814–839. Vgl. zu den Überresten
der mittelpersischen Literatur: Carlo Cereti: La Letteratura Pahlavi. Introduzione ai testi con riferimenti alla storia degli studi e alla tradizione manoscritta. Mailand 2001.
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also prinzipiell die Gefahr eines Zirkelschlusses. Allerdings passen die dürren
Informationen zum Arsakidenreich gut zum hier vorgeschlagenen Modell.
In der aktuellen Forschung wird die Stellung des Partherkönigs intensiv diskutiert, und inzwischen zeichnet sich ab, dass man die Macht der Arsakiden wohl
lange unterschätzt hat.18 Ganz so, wie es die ältere Forschung auch hinsichtlich
der mittelalterlichen westeuropäischen Monarchien annahm, ging man auch für
das Partherreich von einem grundsätzlichen Dualismus von König und Aristokratie aus. Dass römische Autoren wie Justin behaupten, ein Herrscher wie Mithradates III. sei vom Adel abgesetzt worden,19 passte gut in dieses Bild. Die mittelpersische religiöse Literatur, insbesondere das Dēnkard, kennt ein Widerstandsrecht gegen einen schlechten Herrscher, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass
derlei Vorstellungen bereits früh entwickelt worden sind. Dabei wird zwar einerseits eine prinzipielle Gehorsamspflicht gegenüber dem Monarchen postuliert,20
doch andererseits gilt ein König, der seine Stellung missbraucht, Unfrieden und
Gewalt verursacht, dem Zoroastrismus schadet oder andere Religionen bevorzugt, als böse. Er muss deshalb gestürzt werden.21 Dennoch ist die Vorstellung
einer geeinten Aristokratie,22 die den König am Gängelband führte, sicherlich
irreführend. Zum einen ist auch für das Partherreich davon auszugehen, dass es
rivalisierende Gruppierungen gab, die nur ausnahmsweise gegen den Herrscher
kooperierten. Und zum anderen darf man die stabilisierende Funktion des Gefolgschaftswesens nicht unterschätzen.
Man hat für das Arsakiden- und Sasanidenreich oft sehr unglücklich von „Feudalismus“ gesprochen;23 doch dieser Begriff weckt falsche Assoziationen. Richtig
ist aber, dass es formalisierte Treueverhältnisse gab, die zugleich hierarchisch und
reziprok waren. Die Macht des Königs ruhte wesentlich auf der Loyalität seiner
Gefolgsleute, der bandagān. Es handelte sich dabei um ein System, das die westlichen Quellen beharrlich als „Sklaverei“ missverstanden.24 Es musste jedem Herr18 Vgl. zur Diskussion Stefan R. Hauser: Die ewigen Nomaden? Bemerkungen zu Herkunft, Militär, Staatsaufbau und nomadischen Traditionen der Arsakiden. In: Burkard Meißner u. a. (Hg.):
Krieg, Gesellschaft, Institutionen. Berlin 2005, S. 163–205.
19 Iustin 42,4,1. Die Historizität dieser Angabe ist nicht gesichert.
20 DkM 523,10–14.
21 DkM 292,18–293,14. Vgl. Arthur Christensen: L’Iran sous les Sassanides. Kopenhagen 1944,
S. 262; Werner Sundermann: Die sasanidische Herrscherlegitimation und ihre Bedingungen. Diss.
Berlin (Ost) 1963, S. 2 f. Derlei Überlegungen zum Problem des „ungerechten Königs“ hatten
insbesondere in Mesopotamien eine lange Tradition. Als Beispiel sei ein Text aus dem Archiv des
Aššur-bāni-apli genannt, der einem ungerechten Herrscher, der die Götter, das Recht und seine
Ratgeber nicht achte, göttlichen Zorn androht, der dazu führen könne, dass Enlil, der Götterkönig, einen fremden König aussende, um ihn und sein Heer zu vernichten; vgl. Bruno Meissner:
Babylon und Assyrien. Heidelberg 1920, S. 65 f.
22 Vgl. zur Problematik einer Definition von „Aristokratie“, „Adel“ oder „Elite“ etwa Chris
Wickham: Framing the Early Middle Ages. Oxford 2005, S. 154.
23 Vgl. Franz Altheim/Ruth Stiehl: Ein asiatischer Staat. Feudalismus unter den Sasaniden und
ihren Nachbarn. Wiesbaden 1954; Geo Widengren: Der Feudalismus im alten Iran. Köln 1967.
24 Vgl. etwa Iustin 41,3; Prok. Hist. 1,6,16. Vgl. Geo Widengren: Iran, der große Gegner Roms.
Königsgewalt, Feudalismus, Militärwesen (= ANRW, Bd. 9/1). Berlin/New York 1976, S. 220–
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scher darum gehen, sich vor allem die Treue der Magnaten (vuzurgān)25 zu sichern. Wie dies geschehen konnte, liegt auf der Hand: Obwohl wichtige Positionen im Reich genau wie das Königtum spätestens in sasanidischer Zeit bestimmten
Familien vorbehalten waren,26 konnten die Herrscher offenbar recht frei entscheiden, welches Mitglied der weitverzweigten Geschlechter sie auswählten.27 So
konnten sie Loyalität kreieren und belohnen; und das war auch dringend notwendig. Denn obwohl inzwischen umstritten ist, ob es im Arsakidenreich wirklich
kein nennenswertes königliches Heer gab,28 steht doch fest, dass das Adelsaufgebot eine entscheidende Rolle für die Erhaltung der militärischen Schlagkraft spielte. Der Umstand, dass das Arsakidenreich fast fünf Jahrhunderte überdauerte,
spricht dafür, dass dieses System in der Regel funktionierte.
Es ist ungeachtet der problematischen Quellenlage möglich, in Hinblick auf die
Selbstdarstellung der Monarchie mindestens zwei offensichtliche Zäsuren innerhalb der arsakidisch-parthischen Geschichte zu identifizieren. Zum einen ist hier
der Erwerb des reichen Mesopotamiens um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr.
zu nennen.29 Dieser ließ die Arsakiden endgültig zur Vormacht Vorderasiens werden und stattete zudem vor allem die Könige mit einer komfortableren Machtbasis aus. Bemerkenswerterweise wählte der Sieger, Mithradates I., danach nicht
etwa Seleukeia am Tigris, sondern das bis dahin völlig unbedeutende Ktesiphon30
auf dem anderen Flussufer als Hauptresidenz – vielleicht um die Polis Seleukeia
306, hier: S. 252–263. Zwar konnte bandagīh unter Umständen in der Tat auch „Sklaverei“ bedeuten, doch meist verwendete man für einen Sklaven die Ausdrücke vardag oder anšahrīg, also
„Ausländer, Barbar“. Vgl. Wilhelm Eilers: Art. Banda. In: EncIr, Bd. 3 (1988), S. 682–685.
25 In den frühsasanidischen Inschriften findet sich eine Unterteilung der Aristokratie in die vier
Rangstufen šahrdārān, vāspuhragān, vuzurgān und āzādān, wobei mit den vuzurgān offenbar
die Häupter der großen Geschlechter und mit den āzādān die übrigen „einfachen“ Adligen gemeint sind; vgl. Zeev Rubin: Nobility, Monarchy and Legitimation under the Later Sasanians. In:
John Haldon/Lawrence Conrad (Hg.): The Byzantine and Early Islamic Near East. Bd. 6. Princeton 2004, S. 235–273, hier: S. 244–246.
26 Vgl. Widengren: Iran (wie Anm. 24), S. 261–263; Philip Huyse: Sprachkontakte und Entlehnungen zwischen dem Griechisch/Lateinischen und dem Mitteliranischen. In: Udo Hartmann
u. a. (Hg.): Grenzüberschreitungen. Formen des Kontakts zwischen Orient und Okzident im Altertum. Stuttgart 2002, S. 197–234, hier: S. 209. Der auf das 6. Jh. n. Chr. zurückgehende „Tansarbrief“ behauptet, Ardaschir I. habe zwar bestimmte Ämter erblich gemacht, nicht aber das
Königtum; vgl. Mary Boyce: The Letter of Tansar. Rom 1968, S. 35. Diese Einschränkung soll
offenbar das Mitspracherecht der Elite betonen.
27 Prok. Hist 1,23,22. Vgl. dazu Börm: Prokop (wie Anm. 1), S. 128–137.
28 Vgl. Stefan R. Hauser: Was There no Paid Standing Army? A Fresh Look on Military and
Political Institutions in the Arsacid Empire. In: Marcus Mode/Jürgen Tubach (Hg.): Arms and
Armour as Indicators of Cultural Transfer. Wiesbaden 2006, S. 295–319.
29 Vgl. zu den ersten Jahrzehnten des Reiches die Skizze bei Maria Brosius: The Persians. An Introduction. London 2006, S. 83–90.
30 Vgl. Jens Kröger: Art. Ctesiphon. In: EncIr, Bd. 6 (1993), S. 446–448. Vgl. zu den seleukidischen Residenzen Winfried Held: Die Residenzstädte der Seleukiden. Babylon, Seleukia am
Tigris, Ai Khanum, Seleukia in Pieria, Antiochia am Orontes. In: JDAI 117 (2002), S. 217–250.
Seleukeia blieb der einzige Ort im Reich, an dem Tetradrachmen in hellenistischer Tradition geschlagen wurden.
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nicht weiter durch die Anwesenheit eines Königs zu provozieren?31 Denn zu diesem Zeitpunkt nutzten die Arsakiden offenbar auch Kommunikationsstrategien,
die dem hellenistischen Königtum entlehnt waren.32 Noch für spätere Zeit ist die
Rolle des Herrschers als Philhellene bezeugt.33 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Westexpansion des Partherreiches nach dieser
Eroberung eingestellt wurde und die Arsakiden augenscheinlich nicht versuchten,
die Seleukiden auch in Syrien zu beerben.34
Auffällig ist zum zweiten die Veränderung der arsakidischen Münzen einige
Jahrzehnte später, im Verlauf des 1. Jahrhunderts v. Chr.: Hatten sich diese bislang
oft – nicht immer – an hellenistischen Vorbildern orientiert, so rückten nun immer deutlicher iranische Formen in den Vordergrund, und es kam zu einer zunehmenden Standardisierung des Münzbildes.35 Letztere wird teils mit einer längeren
Phase der Thronwirren in Verbindung gebracht.36
Es ist aber ein Indiz für die grundsätzliche innere Stabilität des Reiches und für
den Glauben an die Auserwähltheit der arsakidischen Dynastie, dass sich die Familie ungeachtet der Niederlagen, die man im 2. Jahrhundert n. Chr. gegen Trajan,
Lucius Verus und Septimius Severus erlitt,37 an der Macht behaupten konnte. Dies
gelang vermutlich auch deshalb, weil man spätestens seit Artabanos II. (11–
38 n. Chr.), der einer Nebenlinie des Königshauses entstammte und durch eine
Adelsrevolte an die Macht gelangt war,38 vielerorts wohl arsakidische Prinzen als
Unterkönige einsetzte und so den Zugriff der Herrscherfamilie auf das Reich verbesserte.39 Oft wird vermutet, dass die Kriege gegen Rom die Herrschaft der Arsakiden erschüttert und damit den Aufstieg der Sasaniden ermöglicht hätten.
31
Vgl. Strab. 16,16.
Vgl. Edward Dąbrowa: The Parthians and the Seleucid Legacy. In: Robert Rollinger u. a.
(Hg.): Interkulturalität in der Alten Welt. Wiesbaden 2010, S. 583–589. So vermitteln auch griechische Inschriften – etwa ein Brief des Königs Artabanos II. an Susa (IGIAC 3) – den Eindruck von
Kontinuität zwischen Seleukiden und Arsakiden; vgl. Georges Rougemont: The Use of Greek in
Pre-Sasanian Iran. In: Potts (Hg.): Handbook of Ancient Iran (wie Anm. 13), S. 795–801, hier:
S. 798–800.
33 Vgl. Josef Wiesehöfer: „King of Kings“ and „Philhellen“. Kingship in Arsacid Iran. In: Per
Bilde u. a. (Hg.): Aspects of Hellenistic Kingship. Aarhus 1996, S. 55–66.
34 Die folgenden Versuche, Armenien unter Kontrolle zu bekommen, trugen m. E. defensiven
Charakter und sollten primär der Sicherung des iranischen Hochlandes dienen.
35 Vgl. zu den frühen arsakidischen Münzen Mesrop Abgarians/David Sellwood: A Hoard of
Early Parthian Drachms. In: Numismatic Chronicle (1971), S. 103–119; vgl. daneben den aktuellen Überblick bei Khodadad Rezakhani: Arsacid, Elymaean, and Persid Coinage. In: Potts (Hg.):
Handbook of Ancient Iran (wie Anm. 13), S. 766–778, hier: S. 766–772.
36 So Rezakhani: Coinage (wie Anm. 35), S. 771. Es ist möglich, dass es ein Überlieferungszufall
ist, dass gerade die instabile Phase der arsakidischen Monarchie um die Zeitenwende in den römischen Quellen besonders gut greifbar ist und so möglicherweise ein verzerrtes Bild evoziert.
37 Karl-Heinz Ziegler: Die Beziehungen zwischen Rom und dem Partherreich. Wiesbaden 1964.
Zieglers Darstellung ist nach wie vor nützlich, nimmt aber allzu sehr die römische Perspektive
ein.
38 Tac. Ann. 2,2 f.
39 Vgl. Plinius d. Ä. (Nat. Hist. 6,112), der mitteilt, das Partherreich umfasse 18 regna, und Flavius
Josephus (Ant. Iud. 20,87).
32
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Doch gegen diese Annahme spricht, dass ausgerechnet der letzte parthisch-römische Krieg im Jahr 218 n. Chr. mit einem eindeutigen Sieg des Arsakiden Artabanos IV. über Kaiser Macrinus endete.40 Nur sechs Jahre nach diesem Triumph, im
April 224 n. Chr., erlag er jedoch einem Usurpator namens Ardaschir, dessen
Familie aus dem alten persischen Kernland stammte.
Die frühen Sasaniden
Letzten Endes ist unklar, wieso in Gestalt des Sasaniden Ardaschir I. (224–
240 n. Chr.) erstmals seit fast fünf Jahrhunderten ein Nicht-Arsakide den Griff
nach der Krone wagte. Es drängt sich aber eine Vermutung auf: Wahrscheinlich
war ein erheblicher Teil der Aristokratie unzufrieden mit den Arsakiden, weil
sich König Artabanos zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits seit elf Jahren einen
endlosen Bürgerkrieg mit seinem Bruder Vologaeses V. (VI.) lieferte.41 Ardaschir
dürfte versprochen haben, endlich inneren Frieden herzustellen, und verbündete
sich mit den Häuptern wichtiger Adelsfamilien – darunter wohl auch parthische
Geschlechter wie die Suren, die Mihran und die Karen. Hierfür spricht, dass diese Familien fortan weiterhin zu den „sieben großen Häusern“ im Reich zählten.42 Nicht zuletzt dieser Umstand ist Anlass genug, die Bedeutung des Dynastiewechsels nicht zu überschätzen: Die innere Struktur des Reiches blieb zunächst im Kern unverändert,43 und viele Mächtige behielten ihre Stellung. Wenn
man glaubt, dass Ardaschir I. ein neues, weitaus machtvolleres Reich begründet
habe, so nimmt man damit letztlich die sasanidische Version der Ereignisse für
bare Münze.
Richtig ist allerdings, dass die neue Dynastie unter einem erheblichen Legitimationsdruck stand und deshalb für Unruhe sorgte.44 Ardaschir musste im Unterschied zu seinen arsakidischen Vorgängern nicht nur seine persönliche Eignung
40
Vgl. Cass. Dio 79,26,2–79,27,2.
Der Bürgerkrieg scheint 213 n. Chr. begonnen zu haben; es hat den Anschein, dass Vologaeses
(Balasch), der zuletzt 228 Münzen schlagen ließ, den Sasaniden länger widerstehen konnte als
Artabanos IV. Nicht auszuschließen ist, dass Vologaeses Unterkönig von Medien war; vgl. Stefan
R. Hauser: Münzen, Medien und der Aufbau des Arsakidenreiches. In: Carsten Binder/Henning
Börm/Andreas Luther (Hg.): Diwan. Untersuchungen zu Geschichte und Kultur des Nahen
Ostens und des östlichen Mittelmeerraumes im Altertum. Festschrift für Josef Wiesehöfer zum
65. Geburtstag. Duisburg 2016, S. 433–492.
42 Vgl. Th. Sim. 3,18,7–9. Siehe zu diesen besonders mächtigen Magnaten Christensen: Iran (wie
Anm. 21), S. 103–110. Parvaneh Pourshariati: The Decline and Fall of the Sasanian Empire. The
Sasanian-Parthian Confederacy and the Arab Conquest of Iran. London 2008, bezeichnet das
Sasanidenreich sogar – wohl irreführend – als eine parthisch-persische „Konföderation“.
43 Vgl. zum Aufbau des Reiches Eduard Khurshudian: Die parthischen und sasanidischen Verwaltungsinstitutionen nach den literarischen und epigraphischen Quellen, 3. Jh. v. Chr.–7. Jh.
n. Chr. Eriwan 1998; Vladimir Lukonin: Political, Social and Administrative Institutions. Taxes
and Trade. In: Cambridge History of Iran. Bd. 3/2. Cambridge 1983, S. 681–746.
44 Vgl. Rahim Shayegan: Arsacids and Sasanians. Political Ideology in Post-Hellenistic and Late
Antique Persia. Cambridge 2011.
41
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beweisen, sondern grundsätzlich demonstrieren, dass seine Familie das Recht auf
die Herrschaft besaß.45 Die alte Diskussion, ob er sich in dieser Situation selbst in
die Nachfolge der Achaimeniden stellte und von Rom die Rückgabe der von diesen einst beherrschten Territorien verlangte, sei hier nicht erneut eröffnet.46 Dass
man im Iran des 3. Jahrhunderts n. Chr. zumindest eine vage Erinnerung daran
hatte, dass vor langer Zeit Perserkönige über große Gebiete im Westen geherrscht
hatten, ist zwar nicht unmöglich; doch folgt hieraus nicht, dass die Sasaniden
ernsthafte Interessen rechts des Euphrat verfolgten. Fest steht allerdings, dass sich
Ardaschir außenpolitisch gen Rom orientierte und insbesondere, wenngleich
nicht exklusiv, an dieser Front die militärischen Erfolge suchte, die die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft erweisen sollten: Die Römer sollten offenbar aus Nordmesopotamien vertrieben werden, das einige Jahre zuvor von Septimius Severus
annektiert worden war. Wie prekär seine Position dennoch bis zuletzt war, wird
dadurch illustriert, dass Ardaschir offenbar versuchte, seinen Sohn Schapur zum
Mitherrscher zu machen. Das Experiment scheint aber gescheitert zu sein und
blieb ein Einzelfall.
Er und sein Sohn setzten also durchaus eigene Akzente.47 Besonders vielsagend
ist in diesem Zusammenhang die offizielle Titulatur, die sich auf Münzen und in
Inschriften findet: „Der mazdaverehrende Herr Schapur, König der Könige von
Iran und Nicht-Iran, der vom Stamm der Götter ist.“ Der alte mesopotamische
Titel „König der Könige“, šāhān šāh, war auch unter den Arsakiden nicht unüblich gewesen. Die Sasaniden gaben ihm nun aber eindeutig den Vorzug vor dem
eher hellenistisch klingenden „Großkönig“.48 Auffällig ist ferner die explizite Be45
Wiewohl in der Analyse oftmals unkritisch, bietet Sundermann: Herrscherlegitimation (wie
Anm. 21), noch immer einen sehr guten, quellennahen Überblick. Vgl. daneben Henning Börm:
Dynastie und Charisma im Sasanidenreich. In: Dietrich Boschung/Jürgen Hammerstaedt (Hg.):
Das Charisma des Herrschers. Paderborn 2015, S. 253–280.
46 Die Frage, ob die Erinnerung an die Achaimeniden im Iran während der arsakidischen Zeit
gänzlich erloschen und die Behauptung westlicher Quellen (Herod. 6,2,1–3), Ardaschir (Artaxerxes) habe unter expliziter Berufung auf Kyros II. große Teile des römischen Ostens gefordert,
folglich bloß eine interpretatio Romana sei, ist noch immer umstritten; vgl. zur Diskussion Erich
Kettenhofen: Die Einforderung der achaimenidischen Territorien durch die Sāsāniden – eine
Bilanz. In: Susanne Kurz (Hg.): Yādnāme-ye Iradj Khalifeh-Soltani. Festschrift Iradj KhalifehSoltani zum 65. Geburtstag. Aachen 2002, S. 49–75; Philip Huyse: La revendication de territoires
achéménides par les Sassanides. Une réalité historique? In: ders. (Hg.): Iran. Questions et connaissances I: Études sur l’Iran ancien. Paris 2002, S. 294–308; Shayegan: Arsacids (wie Anm. 44),
S. 369–371.
47 Vgl. zum sasanidischen Königtum einführend Widengren: Iran (wie Anm. 24); Börm: Königtum (wie Anm. 7); Rahim Shayegan: Sasanian Political Ideology. In: Potts (Hg.): Handbook of
Ancient Iran (wie Anm. 13), S. 805–813; Zeev Rubin: The Sasanid Monarchy. In: CAH. Bd. 16.
Cambridge 2000, S. 638–661; Josef Wiesehöfer: King and Kingship in the Sasanian Empire. In:
Giovanni Lanfranchi/Robert Rollinger (Hg.): Concepts of Kingship in Antiquity. Padua 2010,
S. 135–152. Methodisch problematisch, aber materialreich, ist daneben Manijeh Abkaʿi-Khavari:
Das Bild des Königs in der Sasanidenzeit. Schriftliche Überlieferungen im Vergleich mit Antiquaria. Hildesheim/Zürich/New York 2000.
48 Vgl. Iris Colditz: Altorientalische und Avesta-Traditionen in der Herrschertitulatur des vorislamischen Iran. In: Carlo Cereti u. a. (Hg.): Religious Themes and Texts of Pre-Islamic Iran and
Central Asia. Wiesbaden 2003, S. 61–78.
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zugnahme auf Ohrmazd (Ahura Mazda): Auf den Rückseiten der Münzen wurden Feueraltäre abgebildet, und die zoroastrische Priesterschaft scheint eine wichtige Stütze des neuen Regimes gewesen zu sein.49 Unabhängig davon, ob man die
Formel kē čihr az yazdān nun als „der vom Stamm der Götter ist“ oder als „der
das Abbild der Götter ist“ übersetzt,50 fällt drittens der Anspruch ins Auge, über
eine besondere Nahbeziehung zu den Göttern (yazdān) zu verfügen. Und viertens ist das Konzept von „Iran“ (Ērān) offenbar eine sasanidische Innovation gewesen.51 Kurzum, die Sasaniden betrieben einen erheblichen Aufwand, um ihren
Putsch zu rechtfertigen. Trotzdem dauerte es Jahre, bis die letzten Anhänger der
Arsakiden besiegt waren. Das mit diesen verbündete Hatra wurde jahrelang
belagert,52 und in Armenien hielt sich eine Nebenlinie der alten Familie sogar
noch bis ins 5. Jahrhundert n. Chr.
Schapur (240–273 n. Chr.) konnte die Schwächephase, in die das Imperium
Romanum um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. geraten war, bekanntlich zunächst zu seinen Gunsten nutzen,53 wobei die Aggression meines Erachtens allerdings oft von den Römern ausging.54 Seine Triumphe über drei römische Kaiser
feierte er in Reliefs und einer berühmten Inschrift, und obwohl all diese Erfolge
letztlich ephemer waren, dürften sie die Plausibilität der sasanidischen Herrschaft
vergrößert haben. Interessant ist allerdings, dass bei seinem Tod im Jahr
272 n. Chr. sein Sohn Narses, der in den res gestae divi Saporis noch gesondert
hervorgehoben worden war, bei der Nachfolge zunächst zugunsten seines Bru49
Vgl. Michael Stausberg: Die Religion Zarathushtras. Geschichte, Gegenwart, Rituale. Bd. 1.
Stuttgart 2002, S. 206–219. Davor, den Einfluss der zoroastrischen Priesterschaft zu überschätzen,
warnt zugleich mit Recht Philippe Gignoux: Church-State Relations in the Sasanian Period. In:
Takahito Mikasa (Hg.): Monarchies and Socio-Religious Traditions in the Ancient Near East.
Wiesbaden 1984, S. 72–80.
50 In der griechischen Fassung der Res Gestae Divi Saporis (ŠKZ gr. 1,1) wird die Formel mit ἐκ
γένους θεῶν wiedergegeben. Möglich ist aber auch eine Übersetzung von čihr als „Ebenbild“.
Vgl. Werner Sundermann: Kē čihr az yazdān. Zur Titulatur der Sasanidenkönige. In: Archív
Orientální 56 (1988), S. 338–340; Bruce Lincoln: Art. Čehr. In: EncIr, Bd. 6 (1990), S. 118 f.; Antonio Panaino: Astral Characters of Kingship in the Sasanian and Byzantine Worlds. In: Accademia
Nazionale dei Lincei (Hg.): La Persia e Bisanzio. Rom 2004, S. 555–594; Jamsheed Choksy: Sacral
Kingship in Sasanian Iran. In: Bulletin of the Asia Institute 2 (1988), S. 35–52; Philip Huyse: Die
sasanidische Königstitulatur. Eine Gegenüberstellung der Quellen. In: ders./Wiesehöfer (Hg.):
Ērān ud Anērān (wie Anm. 10), S. 181–201, hier: S. 187.
51 Vgl. Gherardo Gnoli: The Idea of Iran. Rom 1989.
52 Vgl. Stefan R. Hauser: Where is the Man of Hadr, Who Once Built It and Taxed the Land by
the Tigris and Chaboras? On the Significance of the Final Siege of Hatra. In: Lucinda Dirven
(Hg.): Hatra. Politics, Culture and Religion between Parthia and Rome. Stuttgart 2013, S. 119–
142. Auf Satellitenbildern sind die gewaltigen sasanidischen Belagerungsanlagen gut erkennbar.
Vgl. David J. Tucker/Stefan R. Hauser: Beyond the World Heritage Site. A Huge Enclosure
Revealed at Hatra. In: Iraq 68 (2006), S. 183–190.
53 Vgl. Beate Dignas/Engelbert Winter: Rome and Persia in Late Antiquity. Cambridge 2007,
S. 22–25, S. 77–84. Zur Quellenlage vgl. Peter Edwell: The Sources for Rome’s Wars with Shapur I:
Eurocentric and Eastern Perspectives. In: AWE 9 (2010), S. 155–179.
54 Vgl. Henning Börm: A Threat or a Blessing? The Sasanians and the Roman Empire. In: Binder/ders./Luther (Hg.): Diwan (wie Anm. 41), S. 615–646.
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ders Bahram I. übergangen wurde. Und wie rasch das ganze System instabil werden konnte, zeigte sich, als dessen Sohn Bahram II. (276–293 n. Chr.) in einen längeren Bruderkrieg geriet, der die Sasaniden so sehr schwächte, dass die Römer
unter Carus 283 n. Chr. ein letztes Mal Ktesiphon plündern konnten.55
Doch diesmal war kein Dynastiewechsel die Folge: 293 n. Chr. erhob sich vielmehr Narses (293–302 n. Chr.) mit Hilfe einer großen Adelspartei erfolgreich gegen seinen Großneffen.56 In der Inschrift von Paikuli rechtfertigte er sich nach
seinem raschen Sieg interessanterweise insbesondere unter Bezugnahme auf das
Xvarrah: Nach alter persischer Vorstellung besaß jedes Lebewesen ein besonderes
Xvarrah, doch das Xvarrah šāhanšāhī des rechtmäßigen Königs war von besonderer Art. Der Begriff ist überaus schillernd, man übersetzt ihn gerne als „Glücksglanz“ oder „Glorie“; es gibt aber auch Berührungspunkte mit Tyche und Fortuna.57 Narses versuchte offenbar, den Besitz des Xvarrah im Konflikt mit Rom zu
demonstrieren, unterlag jedoch schmachvoll Diokletians Caesar Galerius und
musste 298 n. Chr. einen demütigenden Frieden schließen, der die Abtretung
wichtiger Gebiete an die Römer vorsah.58 Dass Narses diese Katastrophe überstand, ist womöglich ein Indiz dafür, dass eine Niederlage gegen Rom die vitalen
Interessen jener Magnaten, die ihn stützten, nicht tangierte.
Narses starb drei Jahre später, und als auch sein Sohn früh verschied, kam es
erneut zu Wirren. Drei rivalisierende Prinzen konnten sich sämtlich nicht durchsetzen: Einer wurde getötet, einer durch Blendung von der Herrschaft ausgeschlossen, und dem dritten gelang mit Mühe die Flucht zu den Römern.59 Den
55 Eutrop. 9,18,1; HA vit. Car. 8,1. Vgl. hierzu Ursula Weber/Josef Wiesehöfer: Der Aufstand
des Ormies und die Thronfolge im frühen Sasanidenreich. In: Henning Börm/Norbert Erhardt/
Josef Wiesehöfer (Hg.): Monumentum et instrumentum inscriptum. Beschriftete Objekte aus
Kaiserzeit und Spätantike als historische Zeugnisse. Stuttgart 2008, S. 217–225.
56 Vgl. Ursula Weber/Josef Wiesehöfer: König Narsehs Herrschaftsverständnis. In: Henning
Börm/Josef Wiesehöfer (Hg.): Commutatio et Contentio. Studies in the Late Roman, Sasanian,
and Early Islamic Near East. Düsseldorf 2010, S. 89–132.
57 Die Paikuli-Inschrift bezeichnet Narses als abzūdxvarrah (NPi § 56), allerdings für die Zeit
vor seiner Krönung. Das, soweit ich sehe, früheste bekannte Zeugnis dafür, dass der regierende
Herrscher explizit mit dem Xvarrah in Verbindung gebracht wird, ist ein Siegel des Peroz (459
bis 484 n. Chr.); vgl. Huyse: Königstitulatur (wie Anm. 50), S. 190. Albert de Jong: Sub Specie
Maiestatis. Reflections on Sasanian Court Rituals. In: Michael Stausberg (Hg.): Zoroastrian Ritual
in Context. Leiden 2004, S. 345–366, hier: S. 364 f., bezweifelt, dass die Herrscher den Besitz des
königlichen Xvarrah offen für sich selbst beanspruchen konnten, da dies seines Erachtens als eine
Art Hybris aufgefasst worden wäre. Vgl. zum Xvarrah einleitend Gherardo Gnoli: Art. Farr(ah).
In: EncIr, Bd. 9 (1999), S. 312–319; Abolala Soudavar: Iconography of Farr(ah). In: EncIr online,
online zugänglich unter: http://www.iranicaonline.org/articles/farr-ii-iconography (letzter Zugriff am 5. 2. 2016); ders: The Aura of Kings. Legitimacy and Divine Sanction in Iranian Kingship.
Costa Mesa 2003; Peter Calmeyer: Fortuna – Tyche – Khvarnah. In: JDAI 94 (1979), S. 347–365.
58 Einen detaillierten Bericht über das foedus von 298 n. Chr. bewahrt Petrus Patricius (frg. 13 f.);
vgl. dazu Dignas/Winter: Rome and Persia (wie Anm. 53), S. 122–130, die m. E. allerdings unterschätzen, welche Demütigung der Vertrag – insbesondere die Abtretung der regiones Transtigritanes – für die Perser bedeutete.
59 Vgl. Klaus Schippmann: Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches. Darmstadt
1990, S. 31; Touraj Daryaee: Sasanian Persia. The Rise and Fall of an Empire. London 2009, S. 16 f.
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Thron bestieg schließlich der vierte Sohn, Schapur II. (309–379 n. Chr.), der zu
diesem Zeitpunkt ein Säugling war – die orientalische Tradition behauptet sogar,
er sei noch im Mutterleib zum König ausgerufen worden.60 In jedem Fall ist offensichtlich, dass er, der natürlich nicht handlungsfähig war, lediglich als Gallionsfigur einer Adelspartei diente. Erstaunlicherweise gelang es ihm einige Jahre später,
sich von seiner Umgebung zu emanzipieren und sich als Heerführer zu profilieren. Als er 363 n. Chr. die Invasion Kaiser Julians abgewehrt hatte, konnte er nicht
nur eine Revision des Friedens von 298 n. Chr. erzwingen, sondern auch die
Übergabe der wichtigsten römischen Grenzfestung Nisibis.61
Aber nach seinem Tod stürzte die sasanidische Monarchie erneut in eine Krise,
und diesmal scheinen die Probleme fundamental gewesen zu sein. Alle drei Nachfolger Schapurs II. wurden nach nur kurzer Herrschaft beseitigt; vermutlich war
es keinem von ihnen gelungen, die verfeindeten Adelsfraktionen zu versöhnen.62
Ein Hintergrund dieser Konflikte könnte gewesen sein, dass mit dem Erscheinen
der hunnischen Chioniten um 350 n. Chr. die Bedrohung der sasanidischen Nordostgrenze gewachsen war.63 Nach Schapurs Tod scheint Uneinigkeit darüber aufgekommen zu sein, ob man den endlosen Abnutzungskrieg mit Rom64 fortsetzen
oder sich stattdessen auf den Osten konzentrieren solle. Die Quellenlage erlaubt
hier allerdings keine Gewissheit.
Die späten Sasaniden
Dass eine ideologische Neufundierung der Monarchie notwendig erschienen sein
muss, wird dann aber am Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr., während der Herrschaft Yazdgirds I. (399–421 n. Chr.), unübersehbar. Dieser suchte die Annäherung an Rom und soll von Kaiser Arcadius 408 n. Chr. sogar als Vormund beziehungsweise Wächter (ἐπίτροπος) seines unmündigen Sohnes Theodosius II.
eingesetzt worden sein.65 Vor allem aber entfernte sich der König von der zoroas60
Tabari I,836. Vgl. auch Agath. Hist. 4,25,2–5.
Amm. 25,7,9–14. Vgl. dazu Evangelos Chrysos: Räumung und Aufgabe von Reichsterritorien:
Der Vertrag von 363. In: BJ 193 (1993), S. 165–202. Der Verlust von Nisibis blieb für Rom eine
schwärende Wunde; noch im späten 5. Jh. n. Chr. forderten Kaiser die Rückgabe der Stadt
(Jos. Styl. 18.20).
62 Vgl. Karin Mosig-Walburg: Königtum und Adel in der Regierungszeit Ardashirs II., Shapurs III. und Wahrams IV. In: Börm/Wiesehöfer (Hg.): Commutatio (wie Anm. 56), S. 133–158.
63 Vgl. James Howard-Johnston: The Sasanian’s Strategic Dilemma. In: Börm/Wiesehöfer (Hg.):
Commutatio (wie Anm. 56), S. 37–70.
64 Eine sehr lesenswerte Darstellung der Kämpfe zwischen 226 und 363 n. Chr. bietet Karin Mosig-Walburg: Römer und Perser. Vom 3. Jahrhundert bis zum Jahr 363 n. Chr. Gutenberg 2009;
vgl. daneben Dignas/Winter: Rome and Persia (wie Anm. 53).
65 Die Historizität der Vorgänge, von denen erstmals etwa 140 Jahre später in Prokops „Historien“ berichtet wird, ist seit langer Zeit umstritten; vgl. zur Diskussion Börm: Prokop (wie
Anm. 1), S. 316–319; Andreas Luther: Arcadius und die Perser. Zum Problem der ‚Vormundschaft‘ für Theodosius II. In: Binder/Börm/ders. (Hg.): Diwan (wie Anm. 41), S. 647–663.
61
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trischen Priesterschaft und brach mit den Christenverfolgungen66 seiner Vorgänger.
410 n. Chr. berief Yazdgird selbst die Synode von Seleukeia-Ktesiphon ein, die zur
Bildung einer faktisch autokephalen persischen Kirche führte. Glaubt man den
christlichen Quellen, so stand der Herrscher kurz davor, ein zweiter Konstantin zu
werden, wobei zu bedenken ist, dass es gerade im für den Herrscher so wichtigen
Mesopotamien viele Christen gab.67 Doch dieser Versuch einer Neuorientierung
scheiterte. Während dem König seine Politik in der orientalischen Tradition den
Beinamen „der Sünder“ und den Ruf eines Tyrannen einbrachte,68 reagierten die
Christen anscheinend allzu übermütig. Im Vertrauen auf die Rückendeckung durch
Yazdgird zerstörte ein Bischof offenbar einen Feuertempel und weigerte sich, Wiedergutmachung zu leisten.69 Das aber ging zu weit. Yazdgird konnte die nichtchristliche Bevölkerung nicht derartig vor den Kopf stoßen. Die Folge waren daher
eine letzte größere Christenverfolgung70 und ein neuer Krieg mit den Römern, der
wohl bereits 416 n. Chr. ausbrach und um 420 n. Chr. nochmals eskalierte.71
Nachdem Yazdgird gestorben war – getötet angeblich durch ein von den Göttern gesandtes Zauberpferd,72 aber mutmaßlich eher durch menschliche Einwirkung –, rief die Adelsversammlung zunächst einen Prinzen aus einer entfernten
sasanidischen Nebenlinie zum König aus. Nur mit Hilfe seiner arabischen Verbündeten73 konnte sich Yazdgirds Sohn Bahram V. (421–439 n. Chr.) schließlich
doch durchsetzen.74 Ihm gelang die Neufundierung des Königtums. Am deutlichsten wird dies durch die Veränderung der Münzlegenden: Nach 200 Jahren
66
Vgl. den Überblick bei Josef Rist: Die Verfolgung der Christen im spätantiken Sasanidenreich.
Ursachen, Verlauf und Folgen. In: Oriens Christianus 80 (1996), S. 17–42.
67 Vgl. die Beiträge in Arafa Mustafa u. a. (Hg.): Inkulturation des Christentums im Sasanidenreich. Wiesbaden 2007. Grundlegend zur Stellung der Christen im Sasanidenreich ist daneben
Sebastian Brock: Christians in the Sasanian Empire. A Case of Divided Loyalties. In: Stuart
Mews (Hg.): Religion and National Identity. Oxford 1982, S. 1–19.
68 Vgl. zu Yazdgird I. Scott McDonough: A Second Constantine? The Sasanian King Yazdgard in
Christian History and Historiography. In: JLA 1 (2008), S. 127–141; Karin Mosig-Walburg: Yazdgerd I., „der Sünder“. In: Philippe Gignoux u. a. (Hg.): Trésors d’Orient. Paris 2009, S. 245–268.
69 Theodoret HE 5,41,1–6.
70 Vgl. Lucas van Rompay: Impetuous Martyrs? The Situation of the Persian Christians in the
Last Years of Yazdgard I (419–421). In: Mathijs Lamberigts u. a. (Hg.): Martyrium in Multidisciplinary Perspective. Löwen 1995, S. 363–375. Wie gravierend diese Verfolgung war, ist umstritten;
vgl. Richard Payne: A State of Mixture. Christians, Zoroastrians, and Iranian Political Culture in
Late Antiquity. Berkeley 2015, S. 44–48.
71 Vgl. hierzu Geoffrey Greatrex: The two Fifth-Century Wars between Rome and Persia. In:
Florilegium 12 (1993), S. 1–14. Lange ging die Forschung übereinstimmend davon aus, der römisch-persische Krieg sei erst 420 n. Chr. ausgebrochen; es gibt jedoch Hinweise in den Quellen
auf einen ersten Schlagabtausch um 416/417 n. Chr.; vgl. Andreas Luther: Ein „übersehener“ römisch-persischer Krieg um 416/417? In: Gymnasium 212 (2014), S. 183–193.
72 Tabari I,849 f.
73 Zur Rolle der Araber an der sasanidischen Westgrenze vgl. Greg Fisher: Between Empires.
Arabs, Romans, and Sasanians in Late Antiquity. Oxford 2011.
74 Offenbar machte der neue König den Magnaten erhebliche Zugeständnisse, so senkte er angeblich die Steuern; vgl. Altheim/Stiehl: Staat (wie Anm. 23), S. 18 f.; Schippmann: Grundzüge
(wie Anm. 59), S. 41 f.
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verschwand hier im Laufe seiner Herrschaft die alte Titulatur; spätestens seit seinem Sohn Yazdgird II. (439–457 n. Chr.) erscheinen der Titel šāhān šāh und die
Formel kē čihr az yazdān nicht mehr.75 Stattdessen nannten sich die Herrscher bis
484 n. Chr. nun kay.
Dies war ein Hinweis auf die mythischen Urkönige Irans, die Kayaniden, die
gemäß der Legende vor allem gegen die nomadischen Stämme von Tūrān, in
Transoxanien, gekämpft hatten. Der Verdacht liegt nahe, dass dem „Großwesir“
(vuzurg framādār) und zweiten Mann hinter dem König, Mihr-Narseh, der bereits seit etwa 415 n. Chr. wesentlichen Einfluss auf die Politik nahm, hier eine
entscheidende Rolle zukam: Er war nicht nur ein bekennender Christenfeind,
sondern führte seine eigene Herkunft auf die Kayaniden zurück und ist bis in die
Herrschaft des Königs Peroz (459–484 n. Chr.) als einflussreicher Höfling bezeugt.76 Tatsächlich konzentrierten sich Bahram und seine Nachfolger auf die
Nordostgrenze. Mit dem Römischen Reich hingegen, wo sich unterdessen ein
Palastkaisertum etabliert hatte, dessen Inhaber ihrerseits nur noch wenig Interesse
an einer expeditio Persica hatten, hielt man nun jahrzehntelang Frieden, der nur
440/1 n. Chr. kurz unterbrochen wurde. Die Könige begnügten sich damit, die eigene Überlegenheit durch die Eintreibung symbolischer Jahrgelder zu dokumentieren.77 Abgesehen von kurzen Wirren herrschte 60 Jahre lang innere Ruhe im
Reich, und Bahram V. ging als Heldenkönig in die orientalische Tradition ein.78
Beginnend mit seiner Herrschaft häufen sich übrigens auch die Hinweise auf Besuche der Könige beim „Hengstfeuer“ (Ādur Gušnasp) in Media Atropatene, das
vom 5. bis 7. Jahrhundert n. Chr. das wichtigste der drei großen zoroastrischen
Heiligtümer im Reich war.79
Mutmaßlich gelang diese Stabilisierung des Königtums durch ein Bündnis mit
der Aristokratie Ostirans. Doch gegen Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. erschüt75
Vgl. Huyse: Königstitulatur (wie Anm. 50), S. 186.
Vgl. Touraj Daryaee: Mehr-Narseh. In: EncIr online, online zugänglich unter: http://www.
iranicaonline.org/articles/mehr-narseh (letzter Zugriff am 5. 2. 2016). Vgl. allgemein zur Rolle
mächtiger Aristokraten am Sasanidenhof Henning Börm: Herrscher und Eliten in der Spätantike.
In: ders./Wiesehöfer (Hg.): Commutatio (wie Anm. 56), S. 159–198; Scott McDonough: The Legs
of the Throne. Kings, Elites, and Subjects in Sasanian Iran. In: Johann Arnason/Kurt Raaflaub
(Hg.): The Roman Empire in Context. Chichester 2011, S. 290–321.
77 Lange Zeit ist die Forschung zumeist den westlichen Quellen gefolgt, welche die ökonomische
Bedeutung der römischen Jahrgelder stark übertreiben, um die Sasaniden als bedürftige Bittsteller
diffamieren und den Kaisern zugleich Verschwendung vorwerfen zu können. Die geforderten
Summen waren hoch genug, um auf den ersten Blick zu beeindrucken. Doch war der symbolische Gehalt der Zahlungen entscheidend; vgl. hierzu eingehend Henning Börm: „Es war allerdings nicht so, dass sie es im Sinne eines Tributes erhielten, wie viele meinten…“. Anlässe und
Funktion der persischen Geldforderungen an die Römer. In: Historia 57 (2008), S. 327–346.
78 Vgl. Otakar Klima: Art. Bahrām V. Gōr. In: EncIr, Bd. 3 (1989), S. 518 f.
79 In der Regel wird angenommen, dass sich dieses bedeutende Heiligtum beim heutigen Takht-i
Suleiman befand. Vgl. Mary Boyce: Art. Ādur Gušnasp. In: EncIr, Bd. 1 (1985), S. 475 f.; Dietrich
Huff: Takht-i Suleiman, Tempel des sassanidischen Reichsfeuers Atur Gushnasp (= Archäologische Entdeckungen. Die Forschungen des Deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert, Bd. 1). Mainz 2000, S. 103–109.
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terten schwere Niederlagen gegen die hunnischen Hephthaliten, die neuen Feinde
im Osten, die Autorität der Monarchie erneut.80 484 n. Chr. fand Peroz, der sie
wiederholt angegriffen hatte, im Kampf gegen sie den Tod; und alles deutet darauf
hin, dass sich die Elite des Sasanidenreichs nun wieder in zwei Lager spaltete: Auf
der einen Seite standen jene, die die Hephthaliten weiter bekämpfen und Frieden
mit dem Kaiser halten wollten; auf der anderen Seite jene, die mit den Hephthaliten und mit der religiösen Bewegung der Mazdakiten sympathisierten.81 Letztere
gewannen 499 n. Chr. mit der Wiedereinsetzung ihres Kandidaten Kavad I., der
496 n. Chr. zunächst gestürzt, durch einen Verwandten ersetzt und in der „Festung des Vergessens“ inhaftiert worden war,82 die Oberhand. Wie nachgerade zu
erwarten, erfolgte nun eine erneute Wendung der Sasaniden gen Westen. Die
Gründe hierfür waren gewiss vielfältig, doch ist in jedem Fall auffällig, dass Kavad
nicht nur 502 n. Chr. einen neuen Krieg gegen die Römer begann,83 sondern auch
erneut die Münzlegende änderte. Statt kay fand sich dort neben dem Namen des
Königs fortan einfach und neutral das Wort abzōn („gedeihe“).84
Am Ende seiner Herrschaft wandte sich Kavad gegen die Mazdakiten und
Hephthalitenfreunde im Adel;85 sein Sohn Chosrau setzte seinen Thronanspruch,
wie eingangs geschildert, mit Hilfe einer Gruppe um Mehbod durch, der als
Freund der Römer bekannt war. 532 n. Chr. schloss man mit Kaiser Justinian folgerichtig ein neues foedus, den „Ewigen Frieden“.86 Doch wenig später wandte
80
Eine gute Einführung zu den Hephthaliten, den „weißen Hunnen“, bietet Adrian David Hugh
Bivar: Art. Hephthalites. In: EncIr, Bd. 12 (2004), S. 198–201.
81 Kavad I. wurde 496 n. Chr. gestürzt und durch einen Bruder ersetzt; ihm gelang aber dank
adliger Unterstützer die Flucht zu den Hephthaliten, mit deren Hilfe er 498/499 n. Chr. wieder
auf den Thron gelangte. Die Quellen bringen diese Ereignisse mit der rätselhaften Bewegung der
„Mazdakiten“ in Verbindung, ohne dass sich in der Forschung bislang Einigkeit darüber hätte
herstellen lassen, was genau damals geschah; vgl. Heinz Gaube: Mazdak. Historical Reality or
Invention? In: Studia Iranica 11 (1982), S. 111–122; Patricia Crone: Kavad’s Heresy and Mazdak’s
Revolt. In: Iran 29 (1991), S. 21–42; dies.: Zoroastrian Communism. In: CSSH 36 (1994), S. 417–
446; Börm: Prokop (wie Anm. 1), S. 230–233; Josef Wiesehöfer: Kawad, Khusro I and the Mazdakites. A New Proposal. In: Philippe Gignoux u. a. (Hg.): Trésors d’Orient. Paris 2009, S. 391–409;
François de Blois: A New Look at Mazdak. In: Teresa Bernheimer/Adam Silverstein (Hg.): Late
Antiquity. Eastern Perspectives. Exeter 2012, S. 1–24.
82 Vgl. zur berühmten „Festung des Vergessens“, dem sasanidischen „Staatsgefängnis“, Erich
Kettenhofen: Das Staatsgefängnis der Sasaniden. In: Welt des Orients 19 (1988), S. 96–101; Claudia Ciancaglini/Giusto Traina: La forteresse de l’Oubli. In: Muséon 115 (2002), S. 399–422.
83 Vgl. zu den beiden Kriegen von 502 bis 506 und von 526 bis 532 n. Chr. Geoffrey Greatrex:
Rome and Persia at War, 502–532. Leeds 1998. Zur ideologischen Begründung der spätsasanidischen Außenpolitik vgl. Richard Payne: Cosmology and the Expansion of the Iranian Empire,
502–628 CE. In: P&P 220 (2013), S. 3–33.
84 Bereits Kavads Vorgänger Balasch (484–488 n. Chr.), der den Hephthaliten tributpflichtig geworden zu sein scheint, hatte den Titel kay offenbar abgelegt; vgl. Huyse: Königstitulatur (wie
Anm. 50), S. 187.
85 Vgl. zu diesen Ereignissen, bei denen Innen- und Außenpolitik eng miteinander verschränkt
waren, Börm: Prokop (wie Anm. 1), S. 318–325; Wiesehöfer: Kawad (wie Anm. 81).
86 Die kaiserliche Kanzlei bezeichnete den Frieden ebenso wie Prokop (Hist. 1,22,17) als „ewig“:
pacem cum Persis in aeternum confirmavimus (Cod. Iust. 1,27,2 praef.).
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Henning Börm
sich Chosrau offenbar wieder den Romfeinden zu, ließ Mehbod hinrichten und
griff 540 n. Chr. das römische Syrien an.87 Mit Chosrau verbindet die orientalische
Tradition daneben sehr weitreichende Reformen, die augenscheinlich die Macht
der Zentralregierung ausbauen sollten.88 Die Zumutungen, die dies für viele Magnaten und Priester bedeutete, konnten Chosrau wohl nur deshalb nichts anhaben,
weil er die persischen Truppen wiederholt siegreich ins Feld führte und im Bündnis mit den Türken sogar das Hephthalitenreich zerschlagen konnte.89
Doch mit seinem Tod verbindet sich eine erneute Zäsur: Keiner der Könige, die
nach ihm kamen, zog noch persönlich in den Krieg. Chosrau I. hatte eine stehende Armee unter vier Regionalkommandeuren eingeführt, ein System, das an das
der spätrömischen magistri militum erinnert.90 Bereits sein Sohn Hormizd IV.
(579–590 n. Chr.) zog sich daher ganz in den Palast zurück und überließ seinen
Feldherren das Kommando; und es ist kaum ein Zufall, dass er nach über 350 Jahren der erste König war, gegen den sich in Gestalt des siegreichen Generals
Bahram (VI.) Chobin ein Nicht-Sasanide erhob.91
Fast wäre Bahram, der anfangs breite Unterstützung in Adel und Priesterschaft
genoss, tatsächlich gelungen, was 224 n. Chr. Ardaschir I. geglückt war: die Etablierung einer neuen Dynastie. Nur mit großer Mühe und römischer Unterstützung vermochte es Hormizds Sohn Chosrau II., den Usurpator zu besiegen und
591 n. Chr. den Thron zu besteigen. Es ist gut vorstellbar, dass Ostrom durch diese Intervention die Magnaten schwächte und dem König damit unabsichtlich neue
87
Vgl. hierzu Henning Börm: Der Perserkönig im Imperium Romanum. Chosroes I. und der
sasanidische Einfall in das Oströmische Reich 540 n. Chr. In: Chiron 36 (2006), S. 299–328; Robert Rollinger: From Sargon of Agade and the Assyrian Kings to Khusrau I and Beyond: on the
Persistence of Ancient Near Eastern Traditions. In: Giovanni Lanfranchi u. a. (Hg.): LEGGO!
Studies Presented to Prof. Frederick Mario Fales on the Occasion of His 65th Birthday. Wiesbaden 2012, S. 725–743.
88 Grundlegend zu diesen Maßnahmen, deren Chronologie, Inhalt und Wirkung umstritten sind,
ist Zeev Rubin: The Reforms of Khusro Anushirwan. In: Averil Cameron (Hg.): The Byzantine
and Early Islamic Near East. Bd. 3. Princeton 1995, S. 227–298. Eine hilfreiche Zusammenfassung
der teils sehr kontrovers geführten Forschungsdiskussion bietet nun Andrea Gariboldi: The
Great „Restoration“ of Husraw I. In: Jullien (Hg.): Husraw Ier (wie Anm. 2), S. 47–79.
89 Zur Selbstinszenierung der Sasanidenkönige als Sieger vgl. Michael Whitby: The Persian King
at War. In: Edward Dabrowa (Hg.): The Roman and Byzantine Army in the East. Krakau 1994,
S. 227–265; Josef Wiesehöfer: Inszenierungen von Sieg im sasanidischen Iran. In: Michaela Fahlenbock u. a. (Hg.): Inszenierung des Sieges – Sieg der Inszenierung. Innsbruck 2011, S. 225–235.
Man kann hier durchaus von einer charismatischen Komponente im Sinne Max Webers sprechen;
vgl. zur Anwendbarkeit dieser herrschaftssoziologischen Ansätze im antiken Kontext die grundsätzlichen Überlegungen bei Ulrich Gotter: Die Nemesis des Allgemein-Gültigen. Max Webers
Charisma-Begriff und die antiken Monarchien. In: Pavlína Rychterová u. a. (Hg.): Das Charisma.
Funktionen und symbolische Repräsentationen. Berlin 2008, S. 173–186.
90 Vgl. Rika Gyselen: The Four Generals of the Sasanian Empire. Some Sigillographic Evidence.
Rom 2001. Noch Chosraus Zeitgenosse Johannes Lydos (De Mag. 3,34,3) behauptet allerdings, in
Persien gebe es kein stehendes Heer.
91 Vgl. zur Revolte Bahrams (VI.), der sich bezeichnenderweise auf die Arsakiden zurückführte,
um eine dynastische Legitimation zu erlangen, Alireza S. Shahbazi: Art. Bahrām VI Čōbīn. In:
EncIr, Bd. 3 (1989), S. 519–522; Rubin: Monarchy (wie Anm. 47).
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Handlungsspielräume schuf. Denn zwölf Jahre später nutzte er den Sturz des
Kaisers Mauricius als Anlass für eine Attacke auf die Römer. Diese entwickelte
sich ab 611 n. Chr. zu einem Eroberungskrieg. Syrien und Ägypten wurden in das
Sasanidenreich eingegliedert, Kleinasien geplündert, Konstantinopel belagert.92
Chosrau II. (591–628 n. Chr.) lehnte sich in seiner Selbstdarstellung nun bezeichnenderweise an die frühen Sasaniden an; der Titel „König der Könige“, der nie
ganz außer Gebrauch geraten war, erschien nun nach 200 Jahren wieder auf den
Münzen, während in den Legenden zugleich erstmals das herrscherliche Xvarrah
beschworen wurde.93
Es waren wohl nicht die vielfach überhöhten, aber letztlich überschaubaren
Erfolge des Kaisers Heraclius, die schließlich die Wende brachten. Seine Verwüstungsfeldzüge in Mesopotamien waren fraglos ärgerlich; aber die beiden sasanidischen Hauptarmeen im Westen blieben unbesiegt. Entscheidend war vielmehr der
Angriff der Göktürken auf die Nordostgrenze Persiens.94 Als sich Chosrau II.
weigerte, den ewigen Krieg gegen den hartnäckigen Heraclius zu beenden, um das
iranische Hochland zu verteidigen, wurde er gestürzt. Sein Nachfolger schloss sogleich einen Status-Quo-Ante-Frieden mit den ausgebluteten Römern, die dieses
Mirakel als großen Sieg verklärten.95 Aber es war nicht Heraclius, der den Sasaniden den entscheidenden Schlag versetzte, und auch die Macht der Türken kollabierte kurz darauf, sodass sie keine Bedrohung mehr darstellten. Vielmehr brachen in Persien 628 n. Chr. Thronwirren und ein jahrelanger Bürgerkrieg aus,96
der das Ansehen der Sasaniden ebenso erschüttert haben muss wie 400 Jahre zuvor das der Arsakiden. Eine Dynastie, die den inneren Frieden nicht wahren
konnte, verlor ihre Legitimität. Gut denkbar ist überdies, dass seit den Ereignissen von 590/91 n. Chr. nicht mehr selbstverständlich war, dass nur Sasaniden nach
dem Königtum streben konnten, was zu einer Eskalation von Misstrauen und
Machtkämpfen innerhalb der Aristokratie beigetragen haben könnte. Den deutlichen Sieg, den die persischen Truppen in der ersten Konfrontation mit den musli-
92
Vgl. zu diesem „letzten großen Krieg des Altertums“ Dignas/Winter: Rome and Persia (wie
Anm. 53), S. 44–49; James Howard-Johnston: Witnesses to a World Crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century. Oxford 2010, S. 436–445.
93 Vgl. Huyse: Königstitulatur (wie Anm. 50), S. 188 f.
94 Bereits Kaiser Justin II. hatte ein Offensivbündnis mit den Türken geschlossen, das aber
572 n. Chr. am entschlossenen Handeln Chosraus I. gescheitert war. Nun gelang es Heraclius im
Jahr 625/626 n. Chr., die Türken erneut zu einem Großangriff auf Persien zu bewegen, der
627 n. Chr. erfolgte. Vgl. Howard-Johnston: Dilemma (wie Anm. 63), S. 65–67.
95 Chron. Pasch. ad ann. 628.
96 Vgl. Daryaee: Sasanian Persia (wie Anm. 59), S. 34 f.; Schippmann: Grundzüge (wie Anm. 59),
S. 72–74. Kurzzeitig gelangten während der Bürgerkriege von 628 bis 633 n. Chr. neben dem
Nicht-Sasaniden (und Christen?) Scharbaraz auch zwei Töchter Chosraus II. auf den Thron; vgl.
Antonio Panaino: Women and Kingship. Some Remarks about the Enthronisation of Queen Boran and Her Sister Azarmigduxt. In: Huyse/Wiesehöfer (Hg.): Ērān ud Anērān (wie Anm. 10),
S. 221–240; Jenny Rose: Three Queens, Two Wives, and a Goddess. The Roles and Images of
Women in Sasanian Iran. In: Gavin R. Hambly (Hg.): Women in the Medieval Islamic World.
New York 1998, S. 29–54.
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mischen Arabern errangen, konnte man jedenfalls aufgrund erneuter innerer Auseinandersetzungen nicht ausnutzen.97 Daher war das Fundament der sasanidischen Herrschaft bereits schwer erschüttert, als der letzte König Yazdgird III.
(632–651 n. Chr.) in zwei weiteren großen Schlachten den Kriegern des Kalifen
unterlag.98 Vor allem die erfolgreiche arabische Invasion des iranischen Hochlandes war eine Katastrophe: Nun schien erwiesen, dass die Sasaniden das Land nicht
mehr beschützen konnten. Statt weiterzukämpfen, verständigten sich viele Magnaten daher mit dem Kalifat, und als Yazdgird nach China zu flüchten versuchte,
wurde er im Jahr 651 n. Chr. von seinen eigenen Männern verraten und getötet.99
Schlussbemerkungen
Die Herausforderungen, denen sich die iranische Monarchie gegenüber sah, blieben über Jahrhunderte hinweg im Kern dieselben. Zwar war zur Monokratie keine
Alternative erkennbar, und das dynastische Prinzip war einflussreich und stabilisierte die Macht der Herrscherfamilie; doch die Position des einzelnen Königs
blieb stets angreifbar. Außenpolitisch drohte meist ein Zweifrontenkrieg,100 und
diese Konstellation war vor allem deshalb bedrohlich, weil sich die grundbesitzenden Magnaten augenscheinlich jeweils selbst die nächsten waren und im Zweifelsfall Priorität für die Verteidigung ihrer Ländereien forderten. Dies trug gewiss
dazu bei, dass die Aristokratie in der Regel gespalten war. Nicht selten lehnten sich
die – nicht notwendig stabilen – Gruppierungen an äußere Mächte an, und insbesondere während eines Interregnums konnten die Konflikte leicht eskalieren,
indem verschiedene Prinzen unterstützt wurden. Gelang es nicht, dies zu unterbinden, schadete die Unfähigkeit, den inneren Frieden zu gewährleisten, den Königen
augenscheinlich mehr, als es Niederlagen gegen die Römer jemals tun konnten. Die
Geschichte der vorislamischen iranischen Monarchie ist geprägt von der Suche der
Herrscher nach Strategien, mit diesen strukturellen Problemen umzugehen.
Bemerkenswert ist dabei, wie sehr sich die römische und sasanidische Herrschaftsrepräsentation einander anzugleichen begannen. Fest steht, dass insbesondere das höfische Zeremoniell101 in Konstantinopel und Ktesiphon so viele Paral97 Vgl. Michael Morony: Iran in the Early Islamic Period. In: Touraj Daryaee (Hg.): The Oxford
Handbook of Iranian History. Oxford 2012, S. 208–226, hier: S. 209 f.
98 Vgl. Michael Morony: The Islamic Conquest of Sasanian Iran. In: Potts (Hg.): Handbook of
Ancient Iran (wie Anm. 13), S. 975–986; Howard-Johnston: Witnesses (wie Anm. 92), S. 464–473;
Garth Fowden: Before and after Muḥammad. The First Millenium Refocused. Princeton 2014,
S. 101–116.
99 Vgl. Touraj Daryaee: Yazdgerd III’s Last Year. Coinage and History of Sistan at the End of
Late Antiquity. In: Iranistik 5 (2009), S. 21–30.
100 Vgl. Howard-Johnston: Dilemma (wie Anm. 63).
101 Vgl. zum sasanidischen Hof Philippe Gignoux: Art. Courts and courtiers II. In the Parthian
and Sasanian Periods. In: EncIr, Bd. 6 (1993), S. 359–361; Josef Wiesehöfer: King, Court and
Royal Representation in the Sasanian Empire. In: Antony Spawforth (Hg.): The Court and Court
Society in Ancient Monarchies. Cambridge 2007, S. 58–81. Die meisten – nicht alle – sasanidi-
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lelen aufwies, dass es sich nicht um bloße Zufälle und auch nicht nur um analoge
Antworten auf analoge Probleme handeln kann.102 Nicht ohne Grund hat Matthew Canepa in dieser Beziehung von einer „gemeinsamen Sprache der Monarchie“ gesprochen, die sich in der Spätantike etablierte und ihre Spuren nicht nur
in Byzanz und Westeuropa, sondern auch im Orient hinterließ.103 Man ließ sich
voneinander inspirieren. Denn obwohl die strukturellen Unterschiede zwischen
Rom und Iran bis zuletzt unübersehbar blieben, war doch beiden Systemen gemeinsam, dass zu jedem Monarchen grundsätzlich stets Alternativen denkbar waren.104 Herrscher, denen man nicht zutraute, das Reich nach außen zu verteidigen
und im Inneren zu befrieden, waren in Rom und Persien darum stets bedroht. Vor
allem die Verhinderung von Bürgerkriegen105 war in Ost und West eine zentrale
Legitimationsbasis der Alleinherrschaft. So war es für Kaiser und Perserkönige
gleichermaßen notwendig, ihre prinzipiell prekäre Stellung zu stabilisieren und
sich unabhängiger zu machen von tagespolitischen Erfolgen und Misserfolgen:
Die Entrückung der Herrscher im Zeremoniell und die Konstruktion einer sakralen Legitimation waren dabei die nächstliegenden Strategien, wiewohl man in
Hinblick auf die gewählte Religion in Ost und West verschiedene Wege ging.106
Angesichts der wiederholten Krisenphasen kann man auf den ersten Blick den
Eindruck gewinnen, die vorislamische iranische Monarchie sei ungewöhnlich fra-
schen Könige trugen eine individuelle Krone; vgl. Andrea Gariboldi: Le corone dei Sasanidi. In:
Rossella Pera (Hg.): Il significato delle immagini: numismatica, arte, filologia, storia. Atti del secondo incontro internazionale di studio del Lexicon Iconographicum Numismaticae. Rom 2012,
S. 511–521; Karin Mosig-Walburg: Das „sasanidische Kronengesetz“. Entstehung und Entwicklung eines modernen Konstrukts. In: Klio 93 (2011), S. 446–473.
102 Eine wichtige Rolle dürften bei der Angleichung des Zeremoniells die häufigen Gesandtschaften gespielt haben; vgl. Stéphane Diebler: Les hommes du roi. Sur la représentation souveraine
dans les relations diplomatiques entre Byzance et les Sassanides d’après les historiens byzantins
du sixième siècle. In: Studia Iranica 24 (1995), S. 187–218. Klassisch ist daneben Karl Güterbock:
Byzanz und Persien in ihren diplomatisch-völkerrechtlichen Beziehungen im Zeitalter Justinians.
Ein Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts. Berlin 1906.
103 Vgl. Matthew P. Canepa: The Two Eyes of the Earth. Art and Ritual of Kingship between
Rome and Sasanian Iran. Berkeley 2009. Die vielfältigen Formen des Kontakts zwischen Römern
und Sasaniden diskutiert Udo Hartmann: Wege des Wissens. Formen des Gedankenaustauschs
und der kulturellen Beeinflussung zwischen dem spätantiken Rom und dem Sāsānidenreich. In:
Robert Rollinger/Andreas Luther/Josef Wiesehöfer (Hg.): Getrennte Wege? Kommunikation,
Raum und Wahrnehmung in der Alten Welt. Frankfurt a. M. 2007, S. 50–107; vgl. auch Engelbert
Winter: Legitimität als Herrschaftsprinzip. Kaiser und König der Könige im wechselseitigen Verkehr. In: Hans-Joachim Drexhage/Julia Sünskes Thomson (Hg.): Migratio et commutatio. Studien
zur alten Geschichte und deren Nachleben. Thomas Pekóry zum 60. Geburtstag am 13. September 1989 dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern. St. Katharinen 1989, S. 72–90.
104 Vgl. Börm: Herrscher (wie Anm. 76).
105 Vgl. Henning Börm: Civil Wars in Greek and Roman Antiquity: Contextualising Disintegration and Reintegration. In: ders. u. a. (Hg.): Civil War in Ancient Greece and Rome. Stuttgart
2016, S. 15–28.
106 Dass eine „vollständige Säkularisierung“ der Monarchie im Altertum ohnehin nirgends zu
beobachten sei, konstatiert Stefan Rebenich: Art. Monarchie. In: RAC, Bd. 24 (2012), Sp. 1112–
1196, hier: Sp. 1117.
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gil und schwach gewesen.107 Doch genau wie das ja ebenfalls prekäre römische
Kaisertum blieb auch die Institution des arsakidisch-sasanidischen Königtums
jahrhundertelang bestehen. Wie erfolgreich gerade die sasanidische Monarchie
war, auch aufgrund der Fähigkeit, sich immer wieder an gewandelte Umstände
anzupassen, zeigt sich nicht nur an ihrer langen Dauer, sondern auch an ihrem
Nachleben.108 Vor allem die Abbasiden übernahmen in ihrem Bemühen, ihrer
Herrschaft Legitimität zu verleihen, viele sasanidische Elemente. Und vom Ruhm
der beiden Könige namens Chosrau zeugt bis heute der Umstand, dass eines der
arabischen Worte für „Großkönig“ kisra lautet.
Abstract
From late Hellenistic times until the expansion of Islam, the Middle East was
governed by an Iranian empire. This monarchy was initially ruled by the Arsacid
dynasty until 224 AD, at which point it found a violent end at the hands of the
Sasanians. Despite this, it is wise not to overestimate the impact of this transition
of power; in fact, it is useful in more than one sense to view the Persian Sasanian
Empire as a direct extension of the Parthian Arsacid Empire. The challenges faced
by the Iranian monarchy basically remained the same over the course of the centuries. It is true that there was no discernible alternative to monocracy, and the
dynastic principle was powerful and helped stabilize the predominance of the ruling family; however, the individual king constantly found himself in an assailable
political position. Moreover, each ruler’s death was necessarily followed by an interregnum as there were no rules governing a devolution upon death, nor was it
possible to establish a condominium, at least not in Sasanian times. The empire’s
borders were under constant threat of a war on two fronts; this constellation was
especially threatening as, when in doubt, the land-owning magnates would obviously demand that their estates be defended. This contributed to constant division
among the aristocratic class. Thus, especially after a king’s demise, conflicts escalated all too easily. If unable to prevent this from happening, a king’s inability to
guarantee peace within his realm posed a much greater threat than any defeat inflicted by the Romans. The history of the pre-Islamic Iranian monarchy is characterized by the rulers’ changing strategies to deal with these structural problems.
The fact that the empire lasted a full eight centuries attests to the pre-Islamic Iranian monarchy’s long-term political success.
107
Die politische und ökonomische Stärke des Reiches war in der Forschung längere Zeit umstritten; vgl. die unterschiedlichen Positionen bei Rubin: Monarchy (wie Anm. 47); James Howard-Johnston: The Two Great Powers in Late Antiquity. A Comparison. In: Averil Cameron
(Hg.): The Byzantine and Early Islamic Near East. Bd. 3. Princeton 1995, S. 157–226.
108 Vgl. etwa C. Edmund Bosworth: The Heritage of Rulership in Early Islamic Iran and the
Search for Dynastic Connections with the Past. In: Iranian Studies 11 (1978), S. 7–34.
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