(Go: >> BACK << -|- >> HOME <<)

„Platonische Akademie“ – Versionsunterschied

[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Formatierung
Zeile 6:
 
== Unterrichtsbetrieb ==
 
Der Unterricht fand teils auf Platons Grundstück, teils auf öffentlichem Grund im nahen [[Gymnasion]] statt. Fortgeschrittene Schüler übernahmen Lehr- und Forschungsaufgaben.<ref>John Patrick Lynch: ''Aristotle's School'', Berkeley 1972, S. 75f.; Hans Krämer: ''Die Ältere Akademie''. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): ''Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike'', Band 3: ''Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos'', 2. Auflage, Basel 2004, S. 1–165, hier: 4; Matthias Baltes: ''Plato's School, the Academy''. In: Matthias Baltes: ''Dianoemata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus'', Stuttgart und Leipzig 1999, S. 249–273, hier: 252f.</ref> Die Frage, ob bzw. inwieweit die Wissensvermittlung formell organisiert war und in welchen Formen sie stattfand, ist umstritten, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Lehrvortrags.<ref>Frederick A.C. Beck: ''Greek Education 450–350 B.C.'', London 1964, S. 227–239; Hans Krämer: ''Die Ältere Akademie''. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): ''Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike'', Band 3: ''Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos'', 2. Auflage, Basel 2004, S. 1–165, hier: 5f.</ref> Der Unterricht war normalerweise kostenlos, und es galt das für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Prinzip der Gleichberechtigung der Lernenden, es fehlte also eine auf Abstammung und Herkunft basierende soziale Rangordnung.<ref>Detlef Thiel: ''Die Philosophie des Xenokrates im Kontext der Alten Akademie'', München 2006, S. 40; Matthias Baltes: ''Plato's School, the Academy''. In: Matthias Baltes: ''Dianoemata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus'', Stuttgart und Leipzig 1999, S. 249–273, hier: 256.</ref> Für Frauen an der Akademie gibt es eine Reihe von Belegen; zwei Schülerinnen Platons und seines Nachfolgers [[Speusippos]], [[Axiothea von Phleius]] und [[Lastheneia von Mantineia]], sind namentlich bekannt.<ref>Diogenes Laertios 3,46 und 4,2. Siehe dazu Tiziano Dorandi: ''Assiotea e Lastenia. Due donne all'Academia''. In: ''Atti e Memorie dell'Accademia Toscana di Scienze e Lettere „La Colombaria“'' 54, 1989, S. 53–66.</ref> Die Schulmitglieder verstanden sich als Lebensgemeinschaft, was unter anderem in gemeinsamen Mahlzeiten, [[Symposion|Symposien]] und Festen zum Ausdruck kam.<ref>Detlef Thiel: ''Die Philosophie des Xenokrates im Kontext der Alten Akademie'', München 2006, S. 41f.</ref> Hierin und in der starken Betonung der [[Mathematik]] als Grundlagenwissenschaft<ref>Siehe dazu Detlef Thiel: ''Die Philosophie des Xenokrates im Kontext der Alten Akademie'', München 2006, S. 48–51.</ref> zeigte sich wohl [[Pythagoreer|pythagoreischer]] Einfluss; Platon hatte in Unteritalien das pythagoreische Konzept einer Studien- und [[Lebensgemeinschaft]] kennengelernt. Für Griechenland neuartig – und wohl vom Vorbild des pythagoreischen Schulbetriebs in Italien angeregt – war die Idee, dass die Schule nicht von der Präsenz des Gründers abhing, sondern nach seinem Tod fortbestand. Forschung und Lehre waren – soweit für uns erkennbar – im Prinzip [[Forschungsfreiheit|frei]], wobei der Umstand eine Rolle spielte, dass Platon eine dogmatische Fixierung seiner Lehre ablehnte. Einzelne Lehrmeinungen, die denen Platons entgegengesetzt waren, konnten in der Akademie vertreten werden.<ref>Matthias Baltes: ''Plato's School, the Academy''. In: Matthias Baltes: ''Dianoemata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus'', Stuttgart und Leipzig 1999, S. 249–273, hier: 253.</ref> Die Lehrenden und Lernenden teilten aber Platons Grundüberzeugungen; wenn das nicht mehr der Fall war (wie bei [[Aristoteles]]), verließ der Schüler die Akademie. Leiter der Schule war als Nachfolger Platons der [[Scholarch]] (Schulhaupt); er wurde von den Schülern auf Lebenszeit gewählt. Schon zu Platons Lebzeiten genoss die Schule in der Öffentlichkeit hohes Ansehen, und fähige Persönlichkeiten schlossen sich ihr an.
 
Zeile 13 ⟶ 12:
== Geschichte ==
=== Ältere Akademie ===
 
Als „Ältere“ oder „Alte“ Akademie bezeichnet man die erste Phase von der Gründung bis zum Tode des Scholarchen [[Krates von Athen|Krates]] (268/264 v. Chr.). Solange Platons Zeitgenossen noch lebten, orientierte man sich an der Erinnerung an seinen mündlichen Unterricht. Dann begann die schriftliche Fixierung des Unterrichtsstoffs und die Kommentierung von [[Platonischer Dialog|Platons Dialogen]]. Die Scholarchen verfassten zahlreiche (heute meist verlorene) Schriften, deren überlieferte Titel einen Eindruck von ihrer universalen Bildung und der Vielfalt der Fächer vermitteln. Man befasste sich mit [[Metaphysik]], [[Ontologie]], [[Erkenntnistheorie]], [[Wissenschaftstheorie]], [[Dialektik]], [[Ethik]], [[Verfassungstheorie]], [[Mathematik]] und [[Geometrie]], [[Astronomie]], [[Kosmologie]], [[Physik]], [[Seele#Traditionelle Vorstellungen und Lehren|Seelenlehre]], [[Sprachwissenschaft]], philosophischer [[Theologie]] und Dämonenlehre. Man griff Fragen auf, die Platon angeregt, aber nicht zu einer Lösung gebracht hatte; die Mehrdeutigkeit seiner Dialoge bot vielfältige Ansatzpunkte zum Weiterdenken. Ein Merkmal der Akademie wurde die tiefe, geradezu religiöse Verehrung Platons und die Feier seines Geburtstags am siebten Tag des Monats Thargelion (Mai/Juni), dem mythischen Geburtstag des Gottes [[Apollon]].
 
Zeile 19 ⟶ 17:
 
=== Jüngere („skeptische“) Akademie ===
 
Einen überaus folgenschweren Einschnitt in der Geschichte der Akademie bildete der Amtsantritt des Scholarchen [[Arkesilaos]] zwischen 268 und 264 v. Chr. Mit ihm begann eine neue Epoche, die man je nach Einteilungsschema „Jüngere“ oder „Mittlere“ Akademie nennt (ersteres ist sinnvoller). Arkesilaos selbst sah das aber keineswegs als Traditionsbruch. Er wollte nur einen bestimmten Aspekt der Tradition, nämlich die in Platons Dialogen beschriebene tiefe [[Skeptizismus|Skepsis]] des [[Sokrates]] gegenüber voreiligen Entscheidungen und unzureichend begründeten dogmatischen Behauptungen, in den Mittelpunkt der Lehre stellen. So hielt der methodische Zweifel Einzug, was zur Abkehr von der bisherigen schulmäßigen Stoffvermittlung führte. Dieser [[Skeptizismus]], den spätere Scholarchen – besonders der berühmte [[Karneades]] – weiter ausbauten, griff tatsächlich ein wichtiges Anliegen des Sokrates auf. Indem man aber die Möglichkeit gesicherter Wirklichkeitserkenntnis bestritt und sie durch abgestufte Wahrscheinlichkeitsannahmen ([[Probabilismus (Erkenntnistheorie)|Probabilismus]]) ersetzte, änderte sich das Ziel des Disputierens. Wenn das Streben nach Wahrheitsfindung, nach zuverlässigem Wissen als letztlich notwendigerweise vergeblich galt, drohte die Gefahr, dass der rhetorische Sieg über den Debattengegner, die bloße Widerlegung fremder Behauptungen als Ziel in den Vordergrund trat und schließlich zum Selbstzweck wurde. Das wäre in gewisser Hinsicht ein später Sieg der [[Sophistik]] über Sokrates und Platon. Das haben die skeptischen Lehrer zwar nicht gewollt, aber ihr grundsätzlicher Verzicht auf eigene Urteile konnte in letzter Konsequenz in eine Selbstaufhebung der Philosophie einmünden. Konsequenterweise machte die Skepsis des Karneades auch vor dem Skeptizismus selbst nicht Halt.
 
Zeile 25 ⟶ 22:
 
=== Neugründung des Antiochos ===
 
Schon vor dem gewaltsamen Untergang der Jüngeren Akademie hatte [[Antiochos von Askalon|Antiochos]] von [[Askalon]], ein Schüler Philons, sich von ihm getrennt und eine eigene Schule gegründet, die er programmatisch „Alte Akademie“ nannte. Damit wollte er an die ursprüngliche Schule Platons anknüpfen. Das war eine bewusste Abkehr vom Skeptizismus der Jüngeren Akademie, den Antiochos für unplatonisch hielt. Er war so stark von [[Stoa|stoischen]] Lehren beeinflusst, dass er geradezu als Stoiker gelten konnte; nach seiner Ansicht stammten diese Lehren ursprünglich aus der Akademie. Sein Nachfolger war sein Bruder [[Aristos]]. Prominente Schüler waren die Römer [[Marcus Terentius Varro|Varro]], [[Marcus Tullius Cicero|Cicero]] und [[Marcus Iunius Brutus|Brutus]]. Nach Caesars Tod (44 v. Chr.) gab es in Athen keine Akademie als Stätte organisierter Ausbildung mehr, sondern nur noch einzelne Platoniker, die Unterricht erteilten.
 
=== Spätantike ===
 
Im 3. Jahrhundert gründete [[Longinos]] in Athen wiederum eine kurzlebige platonische Schule. Aber erst im 5. Jahrhundert kam es zu einer nachhaltigen Wiederbelebung der Tradition platonischer Studien in einem institutionellen Rahmen. Einem reichen [[Neuplatonismus|Neuplatoniker]], [[Plutarch von Athen]], gelang um 410 die Eröffnung des Unterrichtsbetriebs in einem Haus, das er dafür errichten ließ. Diese Schule berief sich nachdrücklich auf die Tradition der Akademie Platons. Mit [[Proklos]], dem berühmtesten dieser Neuplatoniker, erreichte diese Spätblüte ihren Höhepunkt. Doch hatte schon längst das Christentum die Macht im römischen Staat erlangt und war seit dem späten 4. Jahrhundert Staatsreligion, und so war der Untergang dieser [[Spätantike|spätantiken]] platonischen Schule nur eine Frage der Zeit. Obwohl die Athener Neuplatoniker das Christentum eindeutig ablehnten und ihre Schule ein Zentrum des geistigen Widerstandes gegen die herrschende Religion war, blieben sie erstaunlich lange unbehelligt. Erst 529 untersagte Kaiser [[Justinian I.]] den Lehrbetrieb; etwas später wiederholte und verschärfte er das Verbot.<ref>Johannes Malalas, ''Chronik'' 18.47; zur Textüberlieferung siehe Edward Watts: ''Justinian, Malalas, and the End of Athenian Philosophical Teaching in A.D. 529''. In: ''The Journal of Roman Studies'' 94, 2004, S. 168–182, hier: 171f.; zur Datierung und zum Hintergrund James Allan Stewart Evans: ''The Age of Justinian'', London 1996, S. 67–71.</ref> Strittig ist in der Forschung, ob es – wie der Chronist [[Johannes Malalas]] behauptet – einen besonderen kaiserlichen Erlass gab, der ein Ende des Philosophieunterrichts in Athen anordnete, oder ob es nur um die Umsetzung eines allgemeinen Lehrverbots für Personen, die sich der Taufe widersetzten, auch in Athen ging.<ref>Siehe hierzu Edward Watts: ''Justinian, Malalas, and the End of Athenian Philosophical Teaching in A.D. 529''. In: ''The Journal of Roman Studies'' 94, 2004, S. 168–182, hier: 172f.; Rainer Thiel: ''Simplikios und das Ende der neuplatonischen Schule in Athen'', Stuttgart 1999, S. 16f.; Udo Hartmann: ''Geist im Exil''. In: Monika Schuol u. a. (Hrsg.): ''Grenzüberschreitungen. Formen des Kontakts zwischen Orient und Okzident im Altertum'', Stuttgart 2002, S. 123–160, hier: S. 135 und Anm. 38.</ref> Faktisch führten die staatlichen Maßnahmen jedenfalls zur Schließung der Schule.
 
Zeile 37 ⟶ 32:
 
== Rezeption in der Renaissance ==
 
Schon am Anfang des 15. Jahrhunderts bestanden in Florenz Gesprächskreise, die sich dem Studium antiker Literatur widmeten und dabei an die Akademie-Idee anknüpften. Nach der Jahrhundertmitte tauchten Begriffe wie ''Neue Akademie'' oder ''Florentiner Akademie'' auf. Dabei handelte es sich um lockere Gruppen von [[Humanist]]en ohne feste Organisation und Mitgliedschaft. Einen derartigen Diskussionskreis bildete auch die Gruppe um den Florentiner Humanisten [[Marsilio Ficino]]. Ficino erfreute sich der Gunst des [[Cosimo de’ Medici]], der ihm im April 1463 ein Landhaus in Careggi bei Florenz schenkte. Die früher allgemein vertretene Auffassung, dass es in Careggi eine Institution namens „Platonische Akademie“ gab, ein Zentrum des geistigen Lebens und Treffpunkt einer Gemeinschaft bedeutender Florentiner Humanisten, ist aber von James Hankins als unzutreffend erwiesen worden.<ref>James Hankins: ''The Myth of the Platonic Academy''. In: James Hankins: ''Humanism and Platonism in the Italian Renaissance'', Band 2, Rom 2004, S. 185–395.</ref> Der Begriff ''Platonische Akademie'' wurde von Ficino und seinen Zeitgenossen nicht verwendet, sondern ist eine Erfindung des 17. Jahrhunderts. Eine solche Bezeichnung wäre auch trotz Ficinos Enthusiasmus für Platon unpassend gewesen, denn viele der Beteiligten (Ficinos Gesprächspartner, Freunde und Schüler) waren keine Platoniker und die meisten waren eher Dichter und Literaten als Philosophen. Es gab keine wissenschaftlichen Projekte von Ficinos Akademie, sondern nur Unternehmungen der einzelnen Humanisten. Ficinos Hauptanliegen war eine Synthese von antikem Neuplatonismus und katholischem Christentum. Mit großem Fleiß widmete er sich der Übersetzung (ins Lateinische) und Kommentierung von Werken Platons und antiker Platoniker.
 
Zeile 46 ⟶ 40:
 
== Literatur ==
 
* [[Matthias Baltes]]: ''Plato's School, the Academy''. In: Matthias Baltes: ''Dianoemata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus''. Teubner, Stuttgart und Leipzig 1999, ISBN 3-519-07672-1, S. 249–273
* Ada Caruso: ''Akademia. Archeologia di una scuola filosofica ad Atene da Platone a Proclo (387 a.C. – 485 d.C).'' Edizioni Pandemos, Athen, Paestum 2013 (SATAA: Studi di Archeologia e di Topografia di Atene e dell'Attica, 6), ISBN 978-8-887-74449-1. – Rezension von [[Robert Lamberton]], in: [[Bryn Mawr Classical Review ]] [http://bmcr.brynmawr.edu/2013/2013-09-37.html 2013.09.37]
Zeile 59 ⟶ 52:
 
== Weblinks ==
 
{{Commonscat|Platonic Academy|Platonische Akademie}}
* Roman Eisele: [http://www.roman-eisele.de/rhet/stuff/CiceroAkademieKurzfsg.pdf Cicero und die Neue Akademie] (PDF; 91&nbsp;kB), Tübingen 2004