Schleswig - Authentizität gilt als wichtige Währung der Postmoderne. Doch bereits der nordfriesische Maler Emil Nolde (1867-1956) war von der Sehnsucht nach einer ursprünglichen Welt getrieben. Zum 150. Geburtstag des Expressionisten (7. August) zeigt das schleswig-holsteinische Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig die Sonderausstellung „Nolde in der Südsee“ (8.5.-3.9.). 150 Werke umfasst sie insgesamt, darunter 19 farbstarke Gemälde.

Die Expedition, die Nolde mit seiner Frau Ada 1913/14 nach Neuguinea unternahm, illustriert wie kaum ein anderer Lebensabschnitt des Künstlers seine Suche nach den Ursprüngen der Menschheit - und sein Hadern mit dem Kolonialismus. Die Umsiedlung von Indigenen als Arbeiter auf Palmplantagen, so schrieb Nolde damals seinem Schweizer Freund Hans Fehr, mache die Menschen, „die früher so urschön waren“ einförmig und langweilig. „Ich empfand sie wie ein Hohngelächter des Mammon auf uns kleine gierige Menschen.“

„Es geht ihm um das Ursprüngliche, um Urmenschen, eine Urkultur“, erklärt Kuratorin Uta Kuhl bei einem Rundgang zwischen den Aquarellen mit dunklen Köpfen von Indigenen und knalligen Strandmotiven auf der Schlossinsel in Schleswig. Die Vorsilbe Ur komme bei ihm häufig vor und sei bei ihm etwas äußerst Positives. „Es ist die Gegenwelt zu der industrialisierten Welt, die die Menschen damals sicherlich ähnlich gefordert hat wie uns heute die Digitalisierung.“ Und so ließ es Nolde sich nicht nehmen, auch in seinem Atelier in Kavieng an der Bismarcksee seine Beobachtungen einer vermeintlichen Urwelt in Öl zu malen, „was für das Klima echt ungewöhnlich ist“, wie Kuhl sagt. „Die Farben konnten gar nicht richtig trocknen.“

Über seine eigene Rolle als Teil der medizinisch-demografischen Expedition des Reichskolonialamts in die damaligen deutschen Schutzgebiete machte sich Nolde dabei ebenfalls Gedanken. Er sollte das Leben der Menschen dokumentieren - und drang zugleich in die gefährdete Welt ein. Einerseits kritisierte er die Europäisierung, andererseits ließ er sich von Dienern über den Fluss tragen. „Ihm ist diese Tragik bewusst“, sagt Kunsthistorikerin Kuhl. Seitens der Indigenen soll es ebenfalls Ängste gegeben haben, nämlich dass Nolde mit seiner Malerei Macht über sie erlangt. „Einmal stand Ada sogar mit gezogenem Revolver hinter dem Künstler“, berichtet Kuhl.

Zumindest künstlerisch war Noldes Suche nach den Ursprüngen im Urwald aber erfolgreich. Trotz Krankheit - er litt an Amöbenruhr - fertigte der im deutsch-dänischen Grenzgebiet beheimatete Künstler hunderte Skizzen, Kreidezeichnungen und Aquarelle, roboterartige Darstellungen von Dorfwächtern genauso wie Tierfiguren, die an Kinderzeichnungen erinnern - und die auf Gottorf nun in der Reithalle sowie der Sammlung Horn zu sehen sind. In seinem Jahrzehnte umfassendem ?uvre ist Nolde mit ihnen längst im Expressionismus angekommen, vorbei die Zeit romantischer Bibeldarstellungen.

Die größtenteils mit Leihgaben aus der Nolde-Stiftung Seebüll bestrittene Ausstellung, die die Südseereise über Sibirien, Java, Birma bis nach Neuguinea in einer in Norddeutschland noch nie da gewesenen Fülle zeigt, ist Teil des Jubiläumsprojekts „Nolde im Norden“. „Man kann natürlich immer mehr zeigen, aber das ist limitiert durch Versicherungssummen und Leihgebühren“, sagt Museumsdirektorin Kirsten Baumann. Insgesamt widmen sich 2017 und 2018 acht Museen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Dänemark dem Künstler.

Um ein Haar wäre das Gros der Südseewerke jedoch für immer verschwunden gewesen. Briten hatten die Kunst Noldes, der auch der Künstlergruppe Brücke um Ernst Ludwig Kirchner angehörte, auf der Rückreise im Suez-Kanal beschlagnahmt. Erst 1921 fand Nolde sie in Plymouth wieder. Künstlerisch geprägt hat die Expedition Nolde aber auch so. „Der ganze Reichtum des während dieser Reise sehend Erlebten bleibt einem für immer“, schreibt er.