(Go: >> BACK << -|- >> HOME <<)

Vielen Dank für Ihre Registrierung. Sie haben jetzt den Aktivierungslink für Ihr NZZ-Konto per E-Mail erhalten.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung. Wir wünschen Ihnen eine gehaltvolle Lektüre.

Ihr NZZ-Konto ist aktiviert. Wir wünschen Ihnen viel Lesevergnügen.

Vielen Dank für Ihre Bestellung. Wir wünschen Ihnen viel Lesevergnügen.

Als Mussolini den Ehrendoktor der Uni Lausanne erhielt

1937 verlieh die Universität Lausanne dem italienischen Diktator die Ehrendoktorwürde. Die Geste aus dem Waadtland war schon für viele Zeitgenossen ein Affront – ein Blick zurück.
Marc Tribelhorn
Unterwürfige Universität Lausanne: So sieht der «Nebelspalter» im April 1937 die Causa Mussolini. (Bild: J. Nef / Nebelspalter)

Unterwürfige Universität Lausanne: So sieht der «Nebelspalter» im April 1937 die Causa Mussolini. (Bild: J. Nef / Nebelspalter)

Er denkt zuerst an einen schlechten Scherz. Doch die Informationen, die Paul Golay, dem Waadtländer Nationalrat und Journalisten der Arbeiterzeitung «Droit du Peuple», zugespielt worden sind, lassen keine Zweifel offen: Die Universität Lausanne will anlässlich ihrer 400-Jahr-Feier den italienischen Diktator Benito Mussolini ehren. Ein Doktortitel «honoris causa» für den «Duce del Fascismo»! Über die Beweggründe der Hochschule kann Golay nur spekulieren, als er am 2. März 1937 die Geschichte publik macht.

Dass mit Mussolini ausgerechnet ein Gewaltherrscher ausgezeichnet werden soll, der in Italien sukzessive Demokratie und Bürgerrechte abgeschafft hat, ein totalitäres Gesellschaftsmodell vorantreibt und erst kürzlich in einem mit Giftgas geführten Vernichtungskrieg Abessinien annektiert hat, sorgt weit über Lausanne hinaus für Empörung. Vor allem linke Medien und Politiker geisseln den Entscheid als grotesk; das Rektorat der Universität wird mit Protestbriefen eingedeckt. «Das ist eine Schande, nicht nur für die Uni Lausanne, sondern für die ganze Schweiz», heisst es etwa. Oder: «Ganz unverständlich» erscheine es, wie ein Mann mit dem Ehrendoktortitel geschmückt werden könne, «der das Leben von mehreren Zehntausenden von Menschen (auch wenn es nur Abessinier waren) auf dem Gewissen hat». Andere kritisieren die politische Brisanz des «bedauernswerten Entscheids» und fragen: «Sollte eine Universität nicht Vorbildhaftigkeit und sittliche Reife hochhalten?»

Faschist Boninsegni

Die Geschichte des bis heute umstrittensten Ehrendoktortitels der Schweiz beginnt bereits Jahrzehnte früher. Im Sommer 1902 sucht der 19-jährige, arbeitslose Volksschullehrer Benito Mussolini wie viele Italiener sein Glück im Norden. Er reist in die Schweiz, schlägt sich unter anderem in Lausanne und Bern als Hilfsarbeiter durch, vagabundiert, verkehrt in sozialistischen Kreisen und agitiert. Mehrfach wird das «subversive Subject» von der Polizei aufgegriffen, landet im Gefängnis, wird ausgewiesen. Doch Mussolini bleibt bis 1904 in der Eidgenossenschaft, studiert gar ein Semester an der Universität Lausanne beim berühmten Soziologen Vilfredo Pareto und bei dessen Assistenten Pasquale Boninsegni. Seine Biografen sind sich einig, dass die Zeit in der Schweiz für den intellektuellen und politischen Werdegang des «Duce» grundlegend waren.

Pasquale Boninsegni ist schliesslich die treibende Kraft bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an den ehemaligen Studenten. Mit dem «Duce» ist er freundschaftlich verbunden, korrespondiert regelmässig mit ihm und sieht sich als «vorgeschobenen Wachtposten des Faschismus». Als die Universität Lausanne, an der Boninsegni mittlerweile als Direktor der «Ecole des Sciences sociales et politiques» amtet, Gönner für die 400-Jahr-Feier sucht, spendet Mussolini wie selbstverständlich 1000 Franken. Im November 1936 lanciert Boninsegni dann im Fakultätsrat den Vorschlag, dem italienischen Diktator die Ehrendoktorwürde zu verleihen, zieht die Fäden aber stets im Hintergrund. Im Dezember reagiert die übergeordnete Universitätskommission wenig begeistert und zögert: Der Dekan der juristischen Fakultät empfindet den Zeitpunkt als unangebracht, der Dekan der philosophischen Fakultät spricht sich gar dezidiert dagegen aus. Doch Boninsegni schafft selber Tatsachen, indem er Mussolini brieflich mitteilt, die Verleihung stehe kurz bevor. Eine Absage wäre nun peinlich für die Hochschule. Und weil auch die Waadtländer Regierung in der Ehrung «nichts Anstössiges» sieht, spricht sich die Universitätskommission im Januar 1937 mit einer Gegenstimme dafür aus, hält den Beschluss aber geheim – bis ein Schriftsetzerlehrling einen Abzug des Doktordiploms der Zeitung «Droit du Peuple» aushändigt.

Audienz beim «Duce»

Mit dem Entrüstungssturm im März 1937 wird die Ehrenpromotion zur Staatsaffäre. Der Schweizer Gesandte in Rom, Paul Ruegger, meldet nach Bern, Mussolini habe sich über die Geste aus Lausanne gefreut, sei aber enttäuscht über die negativen Pressestimmen und drohe mit der Rückweisung der Auszeichnung. Aussenminister Giuseppe Motta, der wie viele Bürgerliche angetan ist von Mussolinis wirtschaftlichem Kurs und dem harten Durchgreifen gegen die Linken, will diplomatische Spannungen mit dem Nachbarstaat unbedingt vermeiden. Es gelingt schliesslich, den «Duce» wieder zu besänftigen. Und so erhält am 8. April eine devote Dreierdelegation, bestehend aus dem Rektor und dem Kanzler der Uni Lausanne sowie Professor Boninsegni, eine Audienz in Rom. Im Palazzo Venezia überreichen sie dem italienischen Diktator das Doktordiplom. In der Begründung heisst es, Mussolini habe «durch die Beseitigung der Parteienkämpfe dem Volke seinen geistigen, sozialen und ökonomischen Zusammenhalt wiedergegeben» und «eine neue Sozialordnung verwirklicht, die die soziologische Wissenschaft bereichert hat und in der Geschichte eine tiefe Spur hinterlassen wird».

Der NZZ-Korrespondent berichtet, die Verleihung der Ehrendoktorwürde habe in der italienischen Presse viel Beachtung gefunden, und beruhigt: «Man hat in Italien die Geste der Lausanner Universität nie anders ausgelegt als als eine Anerkennung des wissenschaftlichen Œuvres des ehemaligen Studenten Mussolini, das der Alma Mater zur Ehre gereicht, in keinem Fall aber als eine Absage an unsere demokratischen Grundsätze zugunsten der faschistischen Weltanschauung.»

Keine postume Aberkennung

Das hört man in der Schweiz gern und versucht, das Geschäft schnell ad acta zu legen. Doch in Vergessenheit gerät die Peinlichkeit auch nach Mussolinis Tod 1945 nicht. Wiederholt verlangen Komitees, dem Faschisten, Kriegstreiber und Rassisten postum die Doktorwürde zu entziehen. Als die Universität Lausanne 1987 zur 450-Jahr-Feier lädt, wird das Ärgernis erneut zum Politikum. Die Hochschule setzt auf Transparenz und publiziert in einem «Weissbuch» alle in Archiven auffindbaren Dokumente zu Mussolinis Ehrendoktortitel. Von einer Aberkennung post festum hält sie nichts: «Das wäre jener Revisionismus, der Geschehenes ungeschehen machen will», erklärt Rektor André Delessert. «Wir aber sollten aus dem Geschehen lernen und nicht eine Dummheit durch eine andere ersetzen.» An dieser Argumentation hält die Hochschule bis heute fest.

Blick zurück

Schweizer Episoden. Jede Woche beleuchtet die NZZ ein historisches Ereignis. Die Beiträge der Serie mit Links zur damaligen Berichterstattung der NZZ finden Sie auf:

nzz.ch/schweiz/schweizer-geschichte

Merkliste

Hier speichern Sie interessante Artikel, um sie später zu lesen.

  • Legen Sie Ihr persönliches Archiv an.
  • Finden Sie gespeicherte Artikel schnell und einfach.
  • Lesen Sie Ihre Artikel auf allen Geräten.