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21. August 2011
Clinicum Medizin Medien Austria

Fortbildung
Spezialisten für Hirn und Nerven gesucht

Mit Mentoring-Programmen oder Schnuppertagen wirbt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) derzeit gezielt um Nachwuchs unter Neurologen. In Österreich dagegen wird die Nachwuchsfrage noch gelassen betrachtet.

 

Seit rund einem Jahr sucht die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit der Dachkampagne „Deutschland behält die Nerven“ um öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Fach – der „Anpfiff“ dazu erfolgte bereits mit der Fußball-WM 2010. So wurde eigens eine Medienagentur engagiert und ein mehr als vierminütiger Imagefilm produziert, in dem neurologische Krankheitsbilder wie Demenz oder Parkinson sowie Neurologen als „die Spezialis ten für Gehirn und Nerven“ vorgestellt werden (www.nervenbehalten. de/). Immerhin geht die DGN davon aus, dass sich die Zahl der neurologischen Patienten in den letzten 15 Jahren verdoppelt hat – der Bedarf an Therapie und Forschung in der Neurologie wird damit evident, wie auch der Untertitel der Kampagne „Zukunft braucht Neurologen“ unterstreicht.

Ganz gezielt setzt die DGN zudem auf die Nachwuchsförderung in den eigenen Reihen und hat unter anderem mit den „Jungen Neurologen“ eine eigene Gruppierung innerhalb der Gesellschaft gegründet (www.junge-neurologen. de ). „Die Altersstruktur unter den Kollegen wird das Problem in den nächsten Jahren weiter massiv verschärfen“, sagt dazu der Sprecher der „Jungen Neurologen“, Dr. Martin Wolz vom Universitätsklinikum in Dresden, gegenüber CliniCum neuropsy.

Karrierewege

Die Informationsarbeit der DGN beginnt schon in Schulen, wo in einem derzeit anlaufenden Projekt in Kooperation mit dem Wissenschaftsministerium künftigen Medizinstudenten über Web-basierte Programme die Vorzüge der Neurologie schmackhaft gemacht werden sollen. Studenten selbst werden Schnuppertage an neurologischen Abteilungen geboten, wobei die DGN für Fahrt- und Verpflegungskosten aufkommt.

Gestartet wird von den „Jungen Neurologen“ zudem ein Mentoring-Programm: „Dazu gehört zum einen das Einzel- Monitoring für Assistenzärzte, wobei Mentoren und Mentees nach inhaltlichen Schwerpunkten ausgesucht werden“, erklärt Wolz. Räumliche Nähe spielt weniger eine Rolle, die Mentoren sollen sogar explizit an anderen Kliniken als ihre Mentees tätig sein. Für angehende Ärzte wird zudem ein regional verankertes Gruppen-Monitoring ins talliert, um sie in der Bewältigung der kommenden Herausforderungen zu unterstützen. Rund 20 habilitierte Neurologen und Chefärzte haben sich bislang ehrenamtlich als Mentoren zur Verfügung gestellt. „Dabei beginnt das Pro gramm erst mit dem kommenden Herbst semester“, sagt Wolz.

Mögliche Karrierewege in der Neurologie sollen zudem auf dem nächsten Jahreskongress der DGN vorgestellt werden, wo die „Jungen Neurologen“ einen eigenen Programmteil gestalten. „Derzeit starten wir auch eine Umfrage unter unseren Mitgliedern, um den konkreten Bedarf an Weiterbildung zu erheben“, ergänzt Wolz.

Noch kein Mangel?

„In Deutschland ist das Nachwuchsproblem sicher deutlich gravierender als bei uns – das berichten uns immer wieder Kollegen von Auslandsaufenthalten“, meint dazu Assoc.-Prof. Dr. Christian Enzinger, Leiter der Forschungseinheit für Neuronale Plastizität und Reparatur an der Universitätsklinik für Neurologie in Graz. Allerdings gibt es auch vereinzelte Hinweise darauf, dass es an einigen Abteilungen bereits zu Nachwuchsproblemen kommt. „Eine gezielte Förderung des Nachwuchses, das Aufzeigen von Karrieremodellen oder Unterstützung in einer gesunden Work-Life-Balance – dies sind sicher Themen, mit denen auch wir uns in Zukunft intensiver befassen müssen“, ergänzt Enzinger.

Zudem hat die Neurologie in den letzten zehn Jahren auf wissenschaftlichem Gebiet enorme Sprünge gemacht: „Wir verstehen immer genauer, wie unser Zentralnervensystem funktioniert, und können mit neuen Therapien Patienten immer besser helfen.“ Trotz der aufwändigen Forschung und Therapien bei einzelnen neurologischen Krankheitsbildern spricht sich Enzinger allerdings gegen eine Spezialisierung etwa nach angloamerikanischem Vorbild aus, wo sich viele Neurologen nur mehr einzelnen Diagnosen widmen. „Es ist sicher sinnvoll, als Neurologe das gesamte Spektrum des Fachs im Überblick zu behalten. Abgesehen davon gibt es Spezialisierungsmöglichkeiten etwa im Bereich der Neurologischen Intensivmedizin oder in der Neuro-Onkologie.“

Attraktivität erhöhen

Auch für Enzinger ist jedoch evident, dass die demografische Entwicklung schon in naher Zukunft einen erhöhten Bedarf an neurologischer Versorgung bedeutet – immerhin reicht das Angebot des Fachs bis in die Rehabilitation oder in die Neuro-Geriatrie. „Möglicherweise könnte genau dieser Aspekt viele Interessenten bei ihrer Entscheidung zögern lassen, allerdings steht etwa die Innere Medizin vor genau der gleichen Herausforderung“, sagt Enzinger. Abgesehen davon mache gerade für ihn die enorme Regenerationsfähigkeit des Gehirns eine der faszinierenden Seiten des Fachs aus – „und dazu gehört es auch, Entwicklungen über längere Zeiträume zu beobachten“.

Eine Imagekampagne nach dem Modell der DGN wäre daher für Österreich ebenfalls ein probates Mittel, um das Fach unter angehenden Ärzten, aber auch in der Bevölkerung selbst bekannter zu machen: „Wer weiß schon, zu welchem Facharzt er etwa mit Koordinationsstörungen gehen soll“, betont Enzinger. Auch die Darstellung des Leis tungskatalogs der Neurologie im Studium könne noch vertieft werden. „Es ist ein Fach mit guten Berufsaussichten und immer besser werdenden Behandlungsmöglichkeiten – das kann gar nicht oft genug betont werden.“

Zukunftsperspektiven

Genau die faszinierenden technischen Möglichkeiten und die guten Berufsaussichten waren es auch, die Dr. Thomas Gattringer dazu bewogen haben, sich für die Facharztausbildung in der Neurologie an der Grazer Universitätsklinik zu entscheiden. Immerhin hatte Gattringer schon während seines Studiums die Möglichkeit, ein Praktikum an der renommierten Berliner Charité zu absolvieren. „Da hatte ich bereits Gelegenheit, seltene neurologische Krankheitsbilder kennenzulernen“, schildert Gattringer. Überraschend groß war für den Jungmediziner, der derzeit im ersten Ausbildungsjahr zum Facharzt steht, allerdings das große Spektrum an Begleiterkrankungen bei neurologischen Patienten: „Bei vielen Patienten ist es einfach nötig, verschiedenste Disziplinen von der Inneren Medizin über die Psychiattrie bis hin zur Geriatrie zu vereinen“, sagt Gattringer und bringt damit eine der wesentlichsten neurologischen Herausforderungen der Zukunft auf den Punkt.

Angehenden Kollegen rät Gattringer jedenfalls, schon während des Studiums eine genügende Portion Eigeninitiative zu zeigen: „Sie sollten sich möglichst viel ansehen und versuchen, andere Denkweisen kennenzulernen. Das neue Curriculum mit dem praktischen Jahr ist sicher ein Gewinn für die Vorbereitung auf die Praxis. Dennoch bedeutet es eine enorme Herausforderung, wenn in der Facharztausbildung von Anfang an verlangt wird, eine Reihe von Aufgaben selbst zu bewältigen.“ Wertvolle Unterstützung liefert Gattringer sein Mentor Enzinger, zu dem er im Rahmen wissenschaftlicher Projekte schon während des Studiums den Kontakt knüpfen konnte. Nicht zuletzt ist es Gattringer damit gelungen, das eigene Berufsbild zu schärfen.

Mit seinen Kollegen – auch außerhalb der Klinik – fühlt sich Gattringer „gut vernetzt“, auch das Fortbildungsangebot schätzt der angehende Facharzt für Neurologie als ausreichend ein. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es an Interesse am Fach mangeln könnte. Während meines praktischen Jahrs an einem oberösterreichischen Spital haben sich immerhin fünf von 20 Turnusärzten ernsthaft für die Neurologie interessiert.“

Weitere Informationen unter www.oegn.at

 

 

„Viele Chancen werden noch nicht genutzt“

Die Initiative der „Jungen Neurologen“ in Deutschland hat durchaus Vorbildwirkung für Österreich, meint die Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Young Neurologists“ in der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN), Dr. Bernadette Calabek. CliniCum neuropsy: Könnten Österreichs Neurologen auch von einer Imagekampagne ähnlich jener der DGN profitieren? Calabek: Glücklicherweise haben wir in Österreich derzeit keinen Facharztmangel. In Deutschland ist die Situation sicher auch aufgrund des Arbeitszeitgesetzes eine andere. Eine größere Bekanntheit unseres Fachs in der Öffentlichkeit ist aber wünschenswert. Immerhin verstehen viele Patienten das Fremdwort „Neurologie“ gar nicht und können erst mit dem Begriff „Nervenheilkunde“ etwas anfangen. So gesehen hat die Initiative der DGN Vorbildcharakter. Sie haben im vergangenen Jahr den Vorsitz „Young Neurologists“ übernommen – welche Ziele haben Sie sich gesetzt? Vor allem wollen wir die Chancen in der Ausbildung besser bekannt machen: etwa die Möglichkeit der Hospitation an anderen Abteilungen innerhalb Österreichs, aber auch Europas. Genauso wollen wir einen besseren Überblick über Stipendien schaffen, die Summer Schools fortsetzen und Workshops zu Spezialthemen initiieren. Handlungsbedarf besteht zudem in der Verbesserung der Facharztausbildung, wo neurologische Grundkenntnisse wie etwa die Elektrophysiologie oder Ultraschalluntersuchungen modulartig erworben werden sollten. Dazu ist es nötig, dass die Ausbildung weniger Administration, dafür aber mehr Tätigkeiten in der Ambulanz enthält. Gut vorstellbar wäre ein Modell nach angloamerikanischem Vorbild, wo Assistenzärzte alle zwei Monate bestimmte Bereiche intensiv kennenlernen – ich selbst hatte Gelegenheit, dieses System an der Ann-Arbour-Universität in Michigan kennenzulernen. Nicht zuletzt wollen wir unsere Kollegen darauf aufmerksam machen, dass in Österreich auch die Möglichkeit besteht, die europäische Facharztprüfung zu absolvieren. Dafür überarbeiten wir gerade unsere Homepage. Warum haben Sie sich für die Neurologie entschieden? Ganz einfach weil mich seit meiner Schulzeit die Möglichkeiten des Gehirns fasziniert haben. Während des Studiums hat sich dann diese Wunsch gefestigt, und nach eineinhalbjähriger Tätigkeit im Neurologischen Rehabilitationszentrum Meidling habe ich die Facharztstelle am Kaiser-Franz-Josef-Spital bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Von Mag. Christina Lechner

© MMA, CliniCum neuropsy 3/2011