LINZ – Der prognostizierte Anstieg der Diabetesprävalenz für die kommenden Jahre ist weltweit steil. Diabetologisches Fachwissen gewinnt daher in unterschiedlichen Bereichen zunehmend an Bedeutung. Die wichtigsten Neuigkeiten, die im Rahmen der ÖDG-Frühjahrstagung diskutiert wurden, hat die Medical Tribune für Sie zusammengefasst.
Die Diagnose eines Typ-2-Diabetes ist häufig ein Zufallsbefund: Die Stoffwechselstörung wird im Rahmen einer Gesundenuntersuchung oder eines Krankenhausaufenthaltes entdeckt.
Um die Früherkennung zu verbessern empfiehlt Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak, Medizinische Universität Graz, die großzügige Durchführung oraler Glukosetoleranztests bei Personen mit erhöhtem Risiko.
Einfach zu ermitteln ist das indivduelle Risiko laut FINDRISK-Score: Bei einem Wert von über 20 Punkten beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen pathologischen oGTT immerhin 50 Prozent.
Viele Glukosepathologien können übersehen werden, wenn auf den oGTT verzichtet wird (siehe Kasten).
Achtung hoher Blutzucker: Wenn ein Patient mit einem Blutzuckerwert von über 500 mg/dl in Ihrer Ordination auftaucht, sollten Sie den Leitlinien folgen. Diese empfehlen eine intravenöse Flüssigkeitszufuhr und stationäre Einweisung zur Normalisierung des Stoffwechsels.
Ohne Kenntnis der Kaliumkonzentration, des pHWerts und anderer Laborparameter ist es nicht ratsam, Insulin zu verabreichen. Prim. Dr. Johann Ecker, LKH Gmunden, empfiehlt 1000 ml Volumen i.v. (z.B. physiologische Kochsalzlösung) und ab ins nächstgelegene Spital. Von einer „blinden“ Insulintherapie ohne Kenntnis der Laborwerte rät er, vor allem bei kurzer Transportzeit, dringend ab.
Lange Hypoglykämie
Dachten Sie auch bisher, bei Hypoglykämien handle es sich um kurze Episoden? Falsch gedacht: Laut den Ergebnissen einer aktuellen Studie beträgt die Dauer von Hypoglykämie bei schlecht eingestellten, älteren Typ-2-Diabetikern durchschnittlich 47 Minuten. Die wichtigsten Risikofaktoren für das Auftreten einer Unterzuckerung sind eine lange Diabetesdauer, das Vorliegen einer Niereninsuffizienz und das Alter.
Vorsicht bei älteren Patienten ist aber nicht nur wegen der unterschätzten Dauer geboten. Zu bedenken ist auch, dass die Symptomerkennung mit zunehmendem Alter schlechter wird und wiederholte schwere Hypoglykämien zu einer enormen Steigerung des Demenzrisikos führen. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, AKH Wien, empfiehlt daher bei Typ-2-Diabetikern, wann immer möglich, Therapieschemata anzuwenden, bei denen die Gefahr für Hyopglykämien nicht relevant erhöht ist.
Er verweist auf Metformin, Pioglitazon und die Substanzgruppe der Gliptine. Patienten, die auf Therapien eingestellt sind, die mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko verbunden sind, müssen entsprechend geschult werden, auch wenn sie mit oralen Medikamenten behandelt werden.
PAVK und Diabetes
Nicht selten ein Problem ist die nichtinvasive Diagnose von peripheren Durchblutungsstörungen beim Diabetiker. Eine Bestimmung des Knöchel-Arm-Index (ABI) wird oft als Screening-Methode gefordert. Univ.-Doz. Dr. Christoph Säly, Akademisches Lehrkrankenhaus Feldkirch, sieht diese Forderung eher kritisch. Seinen Empfehlungen zufolge sollten Diabetiker mit einer Claudicatio direkt einer Sonographie zugeführt werden.
Auch bei Diabetikern mit bekannter KHK bringt die ABI-Bestimmung fürs Gesamtmanagement wenig. Es handelt um Höchstrisikopatienten, die eines maximalen Risikomanagements bedürfen, unabhängig davon, ob eine subklinische PAVK vorliegt oder nicht. Sehr wohl erwägen kann man den Einsatz des ABI bei Patienten mit Diabetes in der Primärprävention, weil ein pathologischer Wert in diesem Szenario ein überzeugendes Argument für ein strafferes Lipidziel ist.
Gliptine als Add-on
Alle derzeit verfügbaren Gliptine sind als Add-on zur Initialtherapie zugelassen. Der ideale Zeitpunkt für den Einsatz eines Gliptins ist möglichst früh im Krankheitsverlauf. Darum sind Studien geplant, die den Nutzen einer initialen Kombinationstherapie (Metformin plus Gliptin) untersuchen werden. Linagliptin, dem von der FDA kürzlich die Zulassung in den USA erteilt wurde und das auch in Europa bald auf dem Markt sein wird, hat den Vorteil, dass es bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz ohne Dosisanpassung eingesetzt werden kann.
Interessante Daten gibt es auch zu Sitagliptin: Die Gabe dieses Gliptins führte bei Typ-2-Diabetikern zu einer Besserung des HbA1c-Werts, obwohl bei den untersuchten Patienten die Insulinsekretion bereits nachweislich versiegt war. Der günstige Effekt muss somit über andere Mechanismen als über die insulinotrope Wirkung erfolgen. Auch Vildagliptin lässt mit spannenden Studienergebnissen aufhorchen. Bei insulintherapierten Typ-2-Diabetikern ließ sich durch die zusätzliche Gabe des Gliptins nicht nur das HbA1c bessern, sondern überraschenderweise auch die Häufigkeit von Hypoglykämien reduzieren. In einer ähnlichen Studie mit Sitagliptin zeigte sich kein solcher Effekt.
DM und Führerschein
Bezüglich der Ausstellung und des Entzugs des Führerscheins bei Diabetikern mit Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit ist mit Änderungen zu rechnen. Es wurde ein neuer Gesetzesentwurf beim Ministerium eingereicht. Diesem zufolge wird Diabetikern, die innerhalb von zwölf Monaten zwei schwere Hypoglykämien erlitten haben (Fremdhilfe), künftig die Lenkerberechtigung weder erteilt noch belassen werden dürfen. Das Gleiche wird für Diabetiker mit nachgewiesenen Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen gelten.
Nephropathie bei DM
Eine Schädigung der Nierenfunktion bei Diabetikern ist häufig. Doch: Nicht jede Nephropathie ist tatsächlich diabetischen Ursprungs.
Univ.-Prof. Dr. Erich Pohanka, AKH Linz, empfiehlt, besonders unter folgenden Umständen an andere Ursachen zu denken:
- wenn eine Proteinurie bereits nach kurzer Diabetesdauer aufgetreten ist (< 5 Jahre),
- bei rascher Progredienz; die diabetische Nephropathie schreitet üblicherweise langsam fort,
- bei aktivem Harnsediment (Zylinder und Akanthozyten),
- bei DMT1, wenn nicht gleichzeitig eine Retinopathie oder Neuropathie vorliegt,
- bei Hinweisen auf andere Systemerkrankungen,
- bei raschem GFR-Abfall nach ACE-Hemmer.
Als neue Medikamente werden neben weiteren Gliptinen (z.B. Alogliptin) langwirksames Exenatide sowie ein ultralangwirksames Insulinanalogon (Insulin deglutec; Wirkdauer 48 Stunden) erwartet. Schon in näherer Zukunft könnten Hemmer des Natrium-Glukosetransporters (SGLT2) verfügbar sein. Sie bewirken eine Glukosurie und senken damit den Blutzucker.
In Entwicklung sind laut Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik, AKH Wien, folgende Substanzklassen:
- CB1-Rezeptor-Antagonisten:
Sie wirken ähnlich wie das vom Markt genommene Rimonabant, modulieren das Hungerund Sättigungsgefühl und reduzieren so die Energieaufnahme. - Glukokinase-Aktivatoren, Glukagon-Rezeptorantagonisten und zytosolische
PEPCK-Inhibitoren:
Sie greifen in den Kohlenhydratstoffwechsel vor allem der Leber ein. - NF-kappa-B-Inhibitoren und IL-1-Rezeptorantagonisten:
Sie reduzieren die gesteigerte Entzündungsaktivität und verbessern so die Glukoseutilisation. - SIRT1-Inhibitoren, selektive
PPR-gamma-Modulatoren und
11-Beta-HSD1-Inhibitoren:
Sie entfalten ihre Wirkung vor allem in der Skelettmuskulatur.
AMK
27. Frühjahrstagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft; Linz, Mai 2011