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27. September 2011
Medical Tribune Medizin Medien Austria
Kardiologie
Weit gespannt und praxisrelevant war das Spektrum der Beiträge bei der Fortbildungsveranstaltung Kardiologie 2011 Anfang März in Innsbruck. Von innovativen Risikoscores bei Patienten mit Vorhofflimmern, über die neuen ESC-Guidelines für die Revaskularisierung bei stabiler KHK bis zu seltenen Herzmuskelerkrankungen reichten die Themen des von Univ.-Prof. Dr. Otmar Pachinger organisierten Kongresses. MT bringt darüber einen Schwerpunkt „Kardiologie“. Lesen Sie weiters über den Einsatz von Stoßwellen bei therapierefraktärer Angina pectoris und die Möglichkeit der perkutanen Klappenintervention bei multimorbiden Patienten.

Linksventrikelhypertrophie
An kranke Herzmuskeln denken

INNSBRUCK – Die Linksventrikelhypertrophie ist ein weit verbreiteter Befund. Im überwiegenden Teil der Fälle ist sie Folge einer lang bestehenden Hypertonie. Was aber, wenn kein Bluthochdruck und auch keine Aortenklappenstenose oder kein Athletenherz vorliegen? Dann sollte immer auch an seltene Ursachen der Kardiomyopathie gedacht werden, so das Credo der Experten beim Kongress „Kardiologie 2011“ in Innsbruck.

Ein 56-jähriger, überdurchschnittlich sportlicher Patient klagt über einen Leistungsknick. Es besteht eine gut eingestellte Hypertonie, in der Echokardiographie zeigt sich eine deutliche Linksventrikelhypertrophie. Nachdem die ergometrische Belastbarkeit innerhalb eines Jahres um 100 Watt abnimmt und die linksventrikuläre Auswurfleistung sich deutlich verschlechtert, läuten beim betreuenden Arzt die Alarmglocken. „Um hier zu einer definitiven Diagnose zu kommen, ist es nötig eine Magnetresonanztomographie des Herzens, gegebenenfalls eine myokardiale Biopsie durchzuführen“, umriss Prim.

Univ.-Doz. Dr. Hans-Joachim Nesser, Vorstand der 2. Medizinischen Abteilung, AKH der Elisabethinen, Linz, die nächsten diagnostischen Schritte. „Generell sollte eine Linksventrikelhypertrophie bei Erstentdeckung immer Anlass zu einer weiteren Abklärung geben, vor allem dann, wenn der Ventrikel unverhältnismäßig dick ist.“ Beim genannten Patienten betrug die enddiastolische Wanddicke über 25 mm, was, wie Doz. Nesser betonte, für eine Hypertonie eher ungewöhnlich sei.

Wichtig ist die Abklärung einer auffälligen Hypertrophie schon allein deswegen, weil für bestimmte seltene Herzmuskelerkrankungen spezifische Therapien zur Verfügung stehen. Prim. Nesser verwies in diesem Zusammenhang auf bestimmte Formen der Amyloidose, auf die Kardiomyopathie im Rahmen eines Morbus Fabry oder einer Hämochromatose. Auch bei der so genannten Lipomatosis cordis, die auf einer massiven Einlagerung von Fettzellen im Myokard bei Übergewicht beruht, ist davon auszugehen, dass sie gezielt beeinflusst werden kann.

Selbst bei jenen Formen, für die es keine kausale Therapie gibt, ist es wichtig, die richtige Diagnose möglichst früh zu stellen. Nur so könne eine Herztransplantation rechtzeitig geplant werden. Neben den hypertrophen gibt es auch zahlreiche dilatative seltene Herzmuskelerkrankungen. Keinesfalls übersehen sollte man eine endokrine Kardiomyopathie. Prim. Nesser verwies auf einen Patienten, der an der eigenen Abteilung vorstellig wurde. „Sein Herz war stark dilatatiert und die Auswurfleistung hochgradig reduziert.

Wir diagnostizierten eine Akromegalie. Nach chirurgischer Extirpation des Hypophysenvorderlappenadenoms kam es zu einer weitgehenden Normalisierung der Morphologie und Funktion des Herzens.“ Eine gut wirksame Therapie steht auch für Frauen mit peripartaler dilativer Kardiomyopathie zur Verfügung. Bei dieser Erkrankung, deren Genese noch nicht restlos aufgeklärt ist, ist Bromocriptin die Therapie der Wahl.

Andere Ursachen von erworbenen dilatativen Kardiomyopathien sind Medikamente und Drogen. Jene im Rahmen von Kokain- und Alkoholabusus sind nach Abstinenz teilweise reversibel. Viel komplexere Therapien erfordern Herzmuskelerkrankungen im Rahmen von Systemerkrankungen. „Nicht immer, aber häufig liefert hier das Herz die erste Symptomatik“, erklärte Univ.-Doz. Dr. Gerhard Pölzl, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Innsbruck.

„Oft sind neben dem Herz auch andere Organsysteme betroffen. Doch die kardiale Beteiligung bestimmt in der Regel die Prognose und damit auch die Art und Intensität der angewandten Therapie.“ Da bei Patienten mit Systemerkrankungen oft vielschichtige Probleme auftreten, ist ein interdisziplinäres Management nötig.

Laut Doz. Pölzl soll sich der Kardiologe von seinem kardiozentrierten Verständnis lösen und ein systemisches Krankheitsverständnis entwickeln. „Das Herz steht bei Systemerkrankungen nicht im absoluten Mittelpunkt, sondern ist Teil der Erkrankung und muss dementsprechend verstanden und gemanagt werden.“

Abschließend unterstrich Doz. Pölzl die Tatsache, dass seltene Herzmuskelerkrankungen in Wahrheit gar nicht so selten sind, wie gemeinhin angenommen wird. Er verwies auf den Umstand, dass mindestens einem Drittel aller Fälle von Herzinsuffizienz weder eine Hypertonie noch eine koronare Herzerkrankung zu Grunde liegt. „Hier spielen andere genetische oder erworbene Faktoren eine zentrale Rolle.

Für die Abklärung und Behandlung solcher Erkrankungen sind Zentren notwendig, die spezielle Netzwerke aufgebaut haben. Nur so können die niedergelassenen Ärzte wissen, wohin sie Patienten mit Verdacht auf eine seltene Ursache einer Kardiomyopathie schicken.“

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Stabile KHK: Stent oder Operation?
Was die Guidelines raten

INNSBRUCK – Das Update der Europäischen Leitlinien für die Revaskularisation der stabilen KHK zeigt einige wesentliche Veränderungen im Vergleich zur vorigen Version. Nicht in allen Punkten sind Österreichs Kardiologen von den Neuerungen begeistert.

Ein großer Diskussionspunkt ist die Aufwertung der aortokoronaren Bypass-Operation (ACBP) gegenüber der perkutanen Koronarintervention (PCI) in nahezu allen Indikationen. „So etwa wird in den aktuellen Leitlinien auch bei Befunden, die bisher als klassische Indikation für eine Stent-Implantation galten, primär die Operation empfohlen“, berichtete Univ.-Prof. Dr. Franz Weidinger, Vorstand der 2. Med. Abt., KA Rudolfstiftung, Wien.

Der Experte verwies vor allem auf die Ein- oder Zwei-Gefäß-Erkrankung mit proximaler LAD-Stenose sowie die Drei-Gefäß-Erkrankung mit unkomplizierten Läsionen, die durch eine perkutane Intervention komplett wiedereröffnet werden können. „Bei diesen Befunden haben wir sehr gute Ergebnisse mit der Intervention, einziger Nachteil ist eine im Vergleich zur Bypass-Operation höhere Restenoserate im Langzeitverlauf “, so der Experte.

„Dieses Risiko nehmen die Patienten aber gerne in Kauf, wenn ihnen dadurch eine Operation am offenen Herzen erspart bleibt.“ Von kardiologischer Seite kritisiert wird vor allem, dass die Gefahren der Bypass-Operation – ein erhöhtes Insultrisiko oder neurokognitive Verschlechterungen bedingt durch die Herzlungenmaschine – in der Bewertung der Optionen nicht berücksichtigt wurden. Die Ermittlung der Empfehlungsgrade basierte ausschließlich auf kardialen Parametern.

Scores

Freilich haben die neu überarbeiteten Guidelines auch wichtige Vorteile gebracht. Klarer denn je wird eine Nutzen-Risiko-Abwägung nach definierten Scores gefordert (EUROoder STS-Score für die Beurteilung des Op.-Risikos bzw. SYNTAX-Score für die Koronarmorphologie). Daraus ergibt sich eine Präferenz entweder für die Operation oder für die Stent-Implantation. Bei Gleichwertigkeit sollen dem Patienten beide Vorgehensweisen angeboten werden.

Nach umfassender Aufklärung – dieser Punkt wird nun extensiv abgehandelt – liegt es am Patienten selbst, sich zu entscheiden. „Damit ist allerdings nicht allen Patienten geholfen“, gab Prof. Weidinger zu bedenken. „Viele Patienten fühlen sich überfordert. Vielen wäre lieber, wenn der Arzt vorgibt, was das Beste ist.“

Dass die Operation in den neuen Guidelines aufgewertet wurde, hat vor allem mit der erstmaligen Einbindung der Herzchirurgen in den Überarbeitungsprozess zu tun. Damit wurde ein Zeichen gesetzt, das sich auch in den Guidelines selbst widerspiegelt. Es wird explizit die Bildung von fächerübergreifenden Herzteams gefordert, denen jeweils ein interventioneller Kardiologe, ein klinischer Kardiologe und ein Herzchirurg angehören sollten. Die Entscheidung „Stent oder Operation?“ soll ausschließlich im Team getroffen werden.

Akuter STEMI

„Wichtige Neuerungen gab es auch in den Leitlinien für die Behandlung des akuten transmuralen Myokardinfarkts“, berichtete Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Huber, Vorstand der der 3. Med. Abt., Wilhelminenspital Wien. Die Änderungen betreffen vor allem die antithrombotische Begleittherapie, so der Experte.

Hier hat Bivalirudin (IB) unfraktioniertes Heparin (IC) als Therapie der Wahl abgelöst. Grund dafür war die reduzierte Blutungsrate in der HORIZON-Studie. Die zweite Änderung betrifft die Plättchentherapie mit ADP-Blockern: Hier haben sich die neuen Substanzen Prasugrel und Ticagrelor (IB-Indikation) auf Grund überzeugender Studienergebnisse gegenüber Clopidogrel (IC) durchgesetzt, wenngleich Langzeitdaten für diese Substanzen noch fehlen.

Noch stärker als bisher wird in den neuen Guidelines die Notwendigkeit gut funktionierender Netzwerke gefordert. Patienten mit akutem transmuralen Infarkt sollen innerhalb von höchstens zwei Stunden nach dem ersten Arztkontakt ein Katheterlabor erreichen. Zeitverluste gehen mit einer erhöhten Sterblichkeit einher und sollen daher unbedingt vermieden werden.

„Insgesamt geht es also nicht so sehr um die primäre PCI in jedem Fall als vielmehr um die primäre PCI im vorgegebenen Zeitrahmen und durch ein erfahrenes Team“, forderte Prof. Huber. Abschließend gab der Experte noch einen Ausblick auf die kommenden Guidelines 2012. Darin wird Enoxaparin auf Grund der positiven Ergebnisse in der ATOLLStudie als erstes niedermolekulares Heparin eine IIaB-Indikation in der Begleittherapie des akuten transmuralen Infarkts erhalten.

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Tipp: Guidelines in Wijns et al., Eur Heart J 2010; 31: 2501–55

Perkutane Klappenintervention
Clip und TAVI auf dem Vormarsch

INNSBRUCK – Was nützt es, wenn der nötige Klappenersatz ein Routineeingriff wäre, aber ein zu hohes Risiko die Operation vereitelt? Die perkutane Klappenintervention stellt in diesen Fällen eine wirksame und sichere Behandlungsoption dar.

Nicht nur an der Aortenklappe, auch an der Mitralis wird zunehmend häufiger interveniert, ohne dass sich der Patienten einer Operation am Herzen unterziehen muss. Ein perkutaner Ersatz einer stenosierten Aortenklappe ist schon seit einigen Jahren möglich.

Seit Kurzem werden auch Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz per Katheter behandelt. Dabei wird ähnlich vorgegangen wie bei der so genannten Alfieri-Naht, die allerdings chirurgisch gesetzt wurde und die beiden Segel der undichten Herzklappe in der Mitte verband.

Spezial-Clips

Bei dem Kathetereingriff geschieht im Prinzip das Gleiche, allerdings wird dabei nicht genäht, sondern geklammert: mithilfe eines Spezial-Clips, der perkutan über die Inguinalarterie eingeführt wird. „Die Mitralklappe erfüllt nach diesem Eingriff wieder deutlich besser ihre Funktion“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Joachim Schofer vom Herzzentrum der Universität Hamburg und verwies auf die ersten Daten der zwölfmonatigen Everest-Studie.

In dieser ersten kontrollierten, randomisierten Vergleichsstudie wurde der Clip mit einer operativem Behandlung verglichen. Es zeigte sich eine signifikant geringere Komplikationsrate für das perkutane Mitralklappenclipping, während die Effektivität der Behandlung nur marginal geringer war.

„Die Implantation des Clips erfolgt unter Ultraschallsicht“, erklärte Prof. Schofer. „Wir brauchen die Bilder, um den Clip an die richtige Stelle des schlagenden Herzens zu setzen. Insgesamt sind Nutzen und Sicherheit des perkutanen Mitralklappen- Clippings gut dokumentiert. Das Verfahren kann selbst Patienten mit struktureller Klappenerkrankung und/oder bereits eingeschränkter Linksventrikelfunktion angeboten werden.“

Überleben bei TAVI signifikant besser

Überzeugende Daten gibt es mittlerweile auch für die Transkatheter- Aortenklappenimplantation (TAVI). Univ.-Prof. Dr. Irene Lang, Klinische Abteilung für Kardiologie, Univ.-Klinik für Innere Medizin II, AKH Wien, verwies auf die rezent publizierten Ergebnisse der PARTNER-Studie (NEJM 2010).

„Es wurden symptomatische Patienten mit hämodynamisch relevanter Aortenklappenstenose randomisiert, denen wegen hohen perioperativen Risikos kein konventioneller Aortenklappenersatz angeboten werden konnte“, erklärte Prof. Lang. „Die Patienten erhielten entweder perkutan eine Edwards Sapien-Aortenklappe oder eine optimale Standardbehandlung inklusive Ballonvalvuloplastie.“

Die publizierten Daten zeigen, dass das Überleben im TAVI-Arm signifikant besser war als das des Standardtherapie-Arms. Die hohe Gesamtmortalität von 50 % konnte durch die perkutane Klappenimplantation absolut um 20 % reduziert werden. Damit ist TAVI die erste interventionelle Technik, für die ein Mortalitätsvorteil nachweisbar war, so Prof. Lang.

Die Methode kommt insbesondere für Patienten mit hohem Operationsrisiko infolge fortgeschrittenen Alters in Betracht. Auch bei am Herzen voroperierten Patienten mit Komorbiditäten, bei Patienten mit schwerster Sklerose der Aorta ascendens oder solchen mit einer degenerierten Bioprothese ist TAVI eine gute Option.

Bei Patienten mit niedrigem Risiko bleibt die konventionelle chirurgische Rekonstruktion bzw. der chirurgische Klappenersatz weiterhin der Goldstandard in der Behandlung der Aortenstenose.

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Vorhofflimmern
Neue Scores zur Risikoeinschätzung

INNSBRUCK – Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viele Ihrer Patienten Vorhofflimmern aufweisen? Wie viele davon sind antikoaguliert, wie viele nicht? Welche Gründe sprechen für die Antikoagulation, welche dagegen? Fragen über Fragen, für deren Beantwortung zwei neue Scores wichtige Informationen liefern.

Eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien reduziert dramatisch das Insultrisiko bei Patienten mit Vorhofflimmern. Andererseits kann eine Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten auch zu Blutungskomplikationen führen. In diesem Spannungsfeld trifft der niedergelassene Arzt täglich wichtige Entscheidungen. Unterstützung gab es mit dem CHADS2-Score vor allem seitens des Insultrisikos.

Die Einschätzung des Blutungsrisikos hingegen erfolgt oft aus dem Bauch heraus. „Nun stehen seit 2010 zwei neue Scores zur Verfügung, die die Ermittlung des Nettobenefits einer oralen Antikoagulation erleichtern und für jeden Arzt rasch and transparent anzuwenden sind“, berichtete Univ.-Doz. DDr. Wolfgang Dichtl, Univ.-Klinik für Inner Medizin III, Medizinische Universität Innsbruck.

Zur Einschätzung des thromboembolischen Risikos empfiehlt die Europäische Kardiologische Gesellschaft (ESC) in den aktuellen Guidelines den CHA2DS2VASc- Score (Kasten 1). Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des CHADS2-Scores, der vor allem im niedrigeren Risikobereich Schwächen aufwies. „Die wesentlichen Neuerungen des CHA2DS2- VASc-Score bestehen darin, dass der Altersaspekt stärker bewertet und zugleich genauer differenziert wird“, erklärt Doz. Dichtl.

„Außerdem werden erstmals zusätzliche Punkte vergeben für das weibliche Geschlecht und bestehende Gefäßerkrankungen außerhalb des zerebralen Zirkulationsgebietes.“ Bei einem Score von null Punkten wird keine Therapie empfohlen, ab einem Gesamtpunktewert von zwei wird ganz klar zu einer Antikoagulation geraten. „Dies hat erhebliche klinische Konsequenzen“, verdeutlichte Doz. Dichtl. „Nach der neuen Bewertung ist jede Frau mit Vorhofflimmern über 65 Jahre und jeder Mann mit Vorhofflimmern über 75 Jahre auf Grund des erhöhten Insultrisikos ein Kandidat, eine Kandidatin für eine orale Antikoagulation.“

Freilich müsse zugleich das Blutungsrisiko möglichst transparent beurteilt werden, so der Experte. „Bedauerlicherweise haben sich Scores zur Risikostratifizierung des Blutungsrisikos im klinischen Alltag bisher weniger durchgesetzt. Doch mit dem HASBLED- Score, der auch in den aktuellen ESC-Guidelines verankert ist, steht wirklich ein brauchbares Instrument für den Alltag zur Verfügung. Im Gegensatz zu früheren Versuchen besticht das neue System durch seine Einfachheit.“

Auch im HAS-BLED-Score spielt das Alter eine wichtige Rolle (Kasten 2). Allerdings liegt hier die Grenze geschlechtsunabhängig bei 65 Jahren. Der Score berücksichtigt zudem einen praktisch höchst relevanten Punkt: die labile Einstellung einer oralen Antikoagulation. Insgesamt spricht ein Score von drei oder mehr Punkten für ein hohes Blutungsrisiko.

Ausblick in die nahe Zukunft

Vorhofflimmern ist ein wesentlicher Faktor für zerebrale Embolien im Alter. Dabei gilt: egal, ob paroxysmal, peristent oder permanent, das Insultrisiko ist für alle Formen des Vorhofflimmerns ähnlich erhöht. Zu bedenken ist zudem, dass der typische Insult bei Vorhofflimmern üblicherweise groß ist und ohne jegliche Vorboten kommt.

Obwohl diese Problematik bestens bekannt ist, ist ein Großteil der Patienten, die von einer Antikoagulation profitieren würden, nicht auf eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten eingestellt. Häufige Einwände sind die regelmäßigen Laborkontrollen und das Wissen darüber, dass trotz aller Bemühungen die INR-Werte oft nicht im optimalen therapeutischen Bereich liegen. Vor allem älteren Patienten wird daher oft Azetylsalizylsäure als Light-Version angeboten.

Doz. Dichtl erinnerte in diesem Zusammenhang an die BAFTA-Studie, in der speziell ältere Menschen untersucht wurden. In Bezug auf die Insultprophylaxe schnitt Warfarin deutlich besser ab als Azetylsalizylsäure (75 mg/d). Zugleich aber waren intra- oder extrakranielle Blutungsereignisse unter dem Vitamin- K-Antagonisten nicht häufiger.

Trotz dieses eindeutigen Ergebnisses, das den Einsatz von Antikoagulanzien bei älteren Patienten mit Vorhofflimmern befürwortet, wird noch immer vielen geeigneten Kandidaten die erforderliche Therapie vorenthalten. Umso erfreulicher ist die Entwicklung neuer antithrombotischer Substanzen, die oral eingenommen werden, aber keine regelmäßigen Laborkontrollen erfordern.

Die Zulassung für den direkten Thrombin-Inhibitor Dagibatran in der Indikation Insultprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern wird demnächst erwartet. Mittelfristig erscheinen mit den Faktor-Xa-Antagonisten Rivaroxaban und Apixaban weitere Optionen am Horizont.

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Score

Gefäßveränderungen beim nierenkranken Patienten
Keine gewöhnliche Atherosklerose

INNSBRUCK – Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung haben ein überproportional hohes Risiko, an einem plötzlichen Herztod zu versterben. Grund dafür sind nicht so sehr die konventionellen Risikofaktoren als vielmehr typische Veränderungen im Phosphat-Kalzium-Stoffwechsel und damit verbundener Regelkreise.

„Die führende Veränderung bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz ist eine exzessive Gefäßverkalkung bei gleichzeitiger Demineralisierung der Knochensubstanz“, betonte Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer, Univ.-Klinik für Innere Medizin IV, Medizinische Universität Innsbruck. Anders ausgedrückt: Kalzium, das eigentlich den Knochen Festigkeit verleihen sollte, wandert von dort ab und wird in der Muskelschicht der Gefäße abgelagert (Mediasklerose).

„Damit verbunden sind morphologische Veränderungen am Herzen, die gemeinsam mit den bei Niereninsuffizienz auftretenden Elektrolytstörungen die Neigung zu Rhythmusstörungen sowie das Risiko für den plötzlichen kardialen Tod extrem erhöhen“, so der Experte weiter. Diesem gesteigerten Risiko – die Ein-Jahres-Mortalität eines dialysepflichtigen Typ-2-Diabetikers beträgt 20 % – kann durch die Behandlung der klassischen Risikofaktoren wenig entgegengesetzt werden, wie aktuelle Studien zeigen.

Es stellt sich daher die Frage, ob es nicht wirksamer wäre, auf „spezifische“ renale Risikofaktoren abzuzielen. Ein solcher Faktor scheint die Hyperphosphatämie zu sein. Im weiteren Verlauf entwickelt sich ein Hyperparathyreoidismus, Kalzium wandert vom Knochen in die Gefäße, und der Teufelskreis beginnt.

Kardiorenales Syndrom

Ob es durch eine therapeutische Beeinflussung des Kalzium/Phosphat/ Vitamin D/Parathormon- Haushaltes künftig gelingen könnte, die Prognose von Patienten mit chronischem Nierenversagen zu verbessern, ist Gegenstand laufender wissenschaftlicher Untersuchungen. „Mögliche Interventionsansätze sind neue, aluminium- und kalziumfreie Phosphatbinder, Vitamin- D-Analoga oder Kalziummimetika“, berichtete Prof. Mayer. Intensiv geforscht wird zudem an Biomarkern, die dazu dienen sollen, gefährdete Patienten besser zu identifizieren und sie früher als bisher einer spezifischen Behandlung zuzuführen.

Insgesamt werden die oben beschriebenen Zusammenhänge zwischen Herz und Niere dem Typ 4 des kardiorenalen Syndroms zugeordnet. Ronco et al. haben 2008 fünf verschiedene Typen dieses Syndroms definiert, nachdem klar geworden ist, dass die Interaktionen zwischen Erkrankungen des Herzens und der Niere viel komplexer sind als bisher angenommen.

Zusammenhänge aufklären

Diese Zusammenhänge gilt es aufzuklären, zumal die Folgen für den Patienten weit über die bloße zeitliche Koinzidenz der Veränderungen hinausgehen. „Es ist unbedingt nötig, die komplexe Pathophysiologie zu verstehen, da nur so neue, besser wirksame Therapien entwickelt werden können“, forderte Prof. Mayer abschließend.

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Keine Möglichkeit zur Revaskularisation?
Stoßwellen bei therapierefraktärer AP

INNSBRUCK – Nicht alle Patienten mit schwerer Angina pectoris können medikamentös ausreichend behandelt werden. Besteht zudem auch keine Möglichkeit einer Revaskularisation, ist guter Rat teuer. Vielversprechende Ergebnisse liefert die Behandlung mit extrakorporalen Stoßwellen.

„Wenn wir vor einem Patienten mit schwerer therapierefraktärer Angina pectoris sitzen, sind wird häufig ratlos“, so PD Dr. Jean- Paul Schmidt, Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Universitätsspital Bern. „Bisherige Ansätze wie die Stammzelltherapie, die Rückenmarksstimulation oder die venöse perkutane koronare Insitu- Rearterialisierung sind invasiv, aufwendig oder belastend. Sie haben sich daher nicht wirklich durchgesetzt.“

Viel einfacher in der Anwendung ist die Stoßwellentherapie. Bei Erkrankungen des Bewegungsapparates hat sich diese Methode zur Förderung gewebsregenerativer Prozesse daher längst durchgesetzt. Seit im Tierexperiment gezeigt werden konnte, dass Stoßwellen eine Steigerung der myokardialen Kapillardichte ermöglichen, zeigen auch Kardiologen zunehmendes Interesse an dieser Therapieoption. „Mittlerweile verfügen wir über klinische Daten, die die Wirkung bestätigen“, ist Doz. Schmidt vom kardiologischen Nutzen der Stoßwellen überzeugt.

Der Experte verwies auf die Ergebnisse einer eigenen plazebokontrollierten Studie mit 25 Patienten. „Während drei Monaten erhielten die Teilnehmer neun Behandlungen zu je 30 Minuten. Die medikamentöse Therapie wurde nicht geändert. Die behandelte Gruppe schnitt in allen Belastungstests deutlich besser ab als die Nichtbehandelten. Einzelne Patienten wurden sogar völlig beschwerdefrei.“

Pulssynchrone Applikation

Die Ergebnisse im Detail: Die ergometrisch ermittelte Ischämieschwelle konnte erhöht werden. Der Ischämie-Score bei der Szintigraphie ging zurück, und es zeigte sich eine Zunahme der szinitgraphisch ermittelten Perfusion. Die Verbesserung wurde auch subjektiv empfunden: Es zeigte sich ein Rückgang der Symptomatik sowie eine Steigerung der Lebensqualität.

Der positive Effekt scheint über eine Stimulation der Produktion von Stickoxyd und Vascular Endothelial Growth Factor vermittelt zu werden. Wichtig für die Anwendung sind die exakte Lokalisierung der Ischämiezone sowie die pulssynchrone Applikation der Energie ausschließlich während der Diastole. Nebenwirkungen in Form von Arrhythmien oder eines Anstiegs des Troponins wurden bislang nicht beobachtet.

AMK

Kardiologie 2011; Innsbruck, März 2011

Hypertonie-Leitlinie der Deutsche Hochdruckliga
Hart ins Gericht mit hohem Blutdruck

WIESBADEN – Am schönsten wäre es, wenn man für diffizile Therapien einfache „Kochrezepte“ zur Hand hätte. Solche würden die Leitlinienexperten der Hochdruckliga ihren niedergelassenen Kollegen auch gern liefern, nur geht das bei der Hypertonie leider nicht.

Foto: BilderBox.com

Ganz allgemein soll man mit dem Bluthochdruck nach der aktuellen Leitlinie hart ins Gericht gehen: Unter 130/80 mmHg heißt heute das ehrgeizige Ziel für Diabetiker und andere Kandidaten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko (etwa durch koronare Herzkrankheit oder andere Endorganschäden). Bei Niereninsuffizienz und Proteinurie > 1 g/Tag liegt die Schallmauer derzeit sogar bei 125/75 mmHg.

Auch bei Senioren lege artis vorgehen

Besonderen Wert legen die Herz- Kreislauf-Experten auch auf eine intensive Blutdrucksenkung betagterer Patienten. Die verfügbaren umfangreichen Daten belegen, dass auch bei Bluthochdruckkranken über 60 Jahre die Sterblichkeit sinkt, wenn die arterielle Hypertonie konsequent behandelt wird. Und auch bei über 80-Jährigen wird ein Lege-artis-Vorgehen gefordert, um die kardiovaskuläre Sterblichkeit und die Schlaganfallmortalität zu mindern: Hypertonus- Patienten über 70 oder 80 Jahre müssen genauso sorgfältig eingestellt werden wie jüngere.

Zur Pharmakotherapie werden in der deutschen Leitlinie nach wie vor fünf Substanzklassen – Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensin II Typ1(AT1)-Rezeptorblocker – empfohlen. Auf Grund der Erkenntnis, dass man in einer Vielzahl der Fälle ohnehin mit einer Substanz nicht auskommt, wird heute zunehmend die Monotherapie als erste Stufe übersprungen.

Denn über dem sukzessiven Ausprobieren mehrerer – nicht genügend wirksamer Monotherapien – können mitunter Wochen und Monate vergehen. Da brechen nicht wenige der frustrierten Patienten die Therapie dann ganz ab. Die unbefriedigende Situation, dass immer noch die Mehrzahl der Hypertoniker weit ab vom Zielbereich mit viel zu hohen Werten herumläuft, verlangt nach neuen Strategien, wie die Hochdruckexperten immer wieder betonen.

Um hier Fortschritte zu erreichen, setzen sie verstärkt auf das Kombikonzept. Man beginnt – v.a. ab einer Hypertonie Grad 2 – gleich mit einer niedrig dosierten Zweierkombination.

Nieder mit dem Blutdruck, egal wie?

Dabei ist es zunächst entscheidend, dass das Blutdruckziel erreicht wird, welche Substanzen dafür verwendet werden hängt von individuellen Gegebenheiten ab. Alle fünf Substanzklassen eignen sich zur Kombinationstherapie. Die Auswahl richtet sich nach verschiedenen Faktoren wie eventuell vorhandenen Endorganschäden, Begleiterkrankungen und Begleittherapien.

So sollen z.B. Patienten mit Diabetes mellitus, metabolischem Syndrom, Übergewicht (v.a. Bauchfettleibigkeit) oder Fettstoffwechselstörungen möglichst keine Betablocker, Diuretika oder deren Kombination erhalten. Bei KHK, Herzinsuffizienz oder nach Infarkt wirkt sich der Betablocker im Team hingegen prognostisch günstig aus.

Bei Patienten mit Nierenerkrankungen, so heißt es in der Leitlinie weiter, kommt es nicht nur darauf an, dass man den Blutdruck aggressiv senkt, sondern auch darauf, dass das Renin-Angiotensin- System wirksam blockiert wird. Weitere Anforderungen an eine wirksame, compliancefreundliche Hochdrucktherapie lauten:

  • ein besonderes Auge auf die Nebenwirkungen haben, da diese häufig zum Therapieabbruch führen
  • eine zuverlässige Blutdrucksenkung über 24 Stunden gewährleisten, und dies durch Blutdruckmessung vor der Morgen-Dosis (oder durch ABDM) überprüfen
  • Antihypertensiva bevorzugen, bei denen die 24-Stunden-Wirkung mit einer Tablette (compliancefördernd!) erzielt werden kann.

CG/red

 

Jahrestagung der ÖKG
Die Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft findet heuer vom 25. bis 28. Mai im Salzburg Congress statt. Tagungspräsidentin ist heuer zum letzten Mal Univ.-Prof. Dr. Irene Lang. Eine Neuigkeit des Kongresses werden die Fokus-Sitzungen sein, bei der relevante
Probleme anhand von ausgewählten Fällen diskutiert werden. Die Themen des Kongresses reichen
von koronarer Revaskularisierung, Myokardinfarkt, Vorhofflimmern, Synkope, angeborenen Vitien im Erwachsenenalter über bildgebende Verfahren in der Kardiologie bis zur Herzinsuffizienz. Programm auf: www.atcardio.at

Vorhofflimmern durch Thunfisch
BOSTON – Eine neue Analyse der Framingham-Daten sollte klären, ob diätische Faktoren Einfluss auf das Auftreten von Vorhofflimmern haben. Die Autoren suchten nach Assoziationen zwischen dem Konsum von Alkohol, Kaffee, Faserstoffen und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Für keine dieser Speisen ließ sich ein erhöhtes Vorhofflimmern- Risiko bei erhöhter Zufuhr ermitteln. Beim Alkohol war ein positiver Trend zu verzeichnen, der aber keine statistische Relevanz erreichte. Als rhythmusrelevant erwies sich einzig der Verzehr von dunklem Fisch. Wer mehr als viermal pro Woche etwa Thunfisch verspeiste, steigerte sein Risiko signifikant. Weitere Untersuchungen dazu wären aber notwendig.

Jian Shen et al., Am J Clin Nutr. 2011; 93: 261–266

Allergie auf Schrittmacher
WIESBADEN – Wenn silikonhaltige Implantate Probleme machen, steckt nicht immer ein Biofilm dahinter. Auch Kontaktallergien können die Ursache von Unverträglichkeiten sein. Eine Fistel in
der Herzschrittmachertasche führte eine Zwölfjährige zum Arzt. Sie trug das Gerät wegen einer angeborenen Herzerkrankung. Aus der Schrittmachertasche entleerte sich gelatineartige klare Flüssigkeit, Bakterien ließen sich nicht nachweisen. Histologisch sprach das Bild für eine  Fremdkörperreaktion, berichtete Prof. Dr. Christiane Bayerl von der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden beim Allergo-Update. Es erfolgte ein Epikutantest mit Einzelbestandteilen des Gerätes. Das Mädchen reagierte auf silikonhaltige Komponenten. Sie wurde daraufhin mit einem neuen Polyurethanüberzug versorgt und hatte fortan keine Verträglichkeitsprobleme mehr.

SK

© MMA, Medical Tribune • 43. Jahrgang • Nr. 11/2011, Foto: Bilderbox.com

Auch Trikuspidalklappen müssen manchmal unters Messer

Herzattacke Quelle: istockphoto.com
Rechte Herzkammer in Not! Wenn die Trikuspidalklappe mangelhaft schließt, müssen Leber, Darm und Niere büßen. Nicht selten versagt hier die orale Herztherapie bereits nach kurzer Zeit.

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Reicht ein Blutdruck-Zielwert von unter 140 mmHg?

© iStockphoto, Don Bayley
Neue Botschaften vom US-Herzkongress werden die Expertenköpfe wohl noch eine Weile beschäftigen. Daten großer Studien zu Blutdruckzielen und zur kardiovaskulären Prävention sorgten für Überraschung.

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Myokarditis im Überblick

Foto: BilderBox.com
Zwei Drittel aller Myokarditiden in Europa sind viraler Genese, wobei es in den letzten Jahrzehnten zu einem Erregerwechsel gekommen ist.

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Mit Gentests den Herztod verhindern

Genetik, © istockphoto, Ben Ryan
Eine neue Kooperation zwischen Kardiologie und Humangenetik an der Innsbrucker Uniklinik war eines der zentralen Themen des Kongresses „Kardiologie 2010“. Diskutiert wurde auch über den Herzschrittmacher, der vor 50 Jahren erstmals implantiert wurde.

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Foto: BilderBox.com
Ein plötzlicher Leistungseinbruch brachte den Sportler zum Kardiologen.
Kongress