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20. August 2007
Clinicum logo: Medizin Medien Austria

Gesundheitspolitik: Richtungswechsel: Ja. Aber

Die österreichische Gesundheitsreform tritt auf der Stelle. Noch bevor die Gesundheitsplattformen ihre Arbeit richtig aufgenommen haben, wird ihre Funktion schon wieder in Frage gestellt. Und auch die Krankenkassen sind in der Bredouille. Sie befürchten die Aufhebung ihres höchsten Guts: die Selbstverwaltung.

 

Für Gesundheitsministerin Dr. Andrea Kdolsky liegt einiges im Argen. Die Reformmühlen des österreichischen Gesundheitswesens mahlen ihr zu langsam. „Wir leisten uns neun bis zehn Gesundheitssysteme in den Bundesländern. Die Systeme agieren neben- und nicht miteinander, und die Leidtragenden sind die Patienten, die zwischen den Sektoren hin und her geschoben werden“, kritisierte Kdolsky auf der Tagung „Konfrontation Gesundheit“ Mitte Juni in Wien. Schnittstellen seien noch keinesfalls zu Nahtstellen geworden, und niemand könne der Bevölkerung garantieren, „dass das Geld mit maximaler Effizienz eingesetzt wird“. Mit der Schaffung der Bundesgesundheitskommission und der Landesgesundheitsplattformen wurden zwar Vertreter von Bund, Ländern und Sozialversicherung zusammengebracht, jedoch würde das gemeinsame Verständnis der Akteure zur Erreichung des Ziels einer integrierten Versorgung noch fehlen. „Der Versuch, alle an einen Tisch zu holen, wird oft durch eine Aussage wieder ins Wanken gebracht“, sagt Kdolsky. Nach wie vor sei die Versorgung regional nicht optimal verteilt, und die Frage der Qualität gehe in Kleinkriegen unter: „Um jeden Standort, um jedes Bett wird gekämpft.“ Wurde mit der gemeinsamen Planung und Steuerung durch Bund, Länder und Sozialversicherung also der falsche Ansatz gewählt? „Die Bundesgesundheitsagentur und die Plattformen sind als Steuerfunktion unbrauchbar“, glaubt DI Harald Gaugg, Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark. Die Struktur der Plattformen müsste laut Gaugg anders organisiert sein: „In den meisten Plattformen gibt es einen getrennten intra- und extramuralen Ausschuss. Das führt die Plattformen ad absurdum.“ Die Landesgesundheitsplattformen setzen sich aus drei Kernbereichen zusammen. Intramural besitzt das Land Stimmenmehrheit, im extramuralen Bereich die Sozialversicherung. Im intra- und extramuralen Kooperationsbereich wiederum können Entscheidungen nur im Einvernehmen zwischen Land und Sozial-

versicherung getroffen werden. „Das grenzt an Schwachsinn“, meint auch Grünen-Gesundheitssprecher Univ.- Prof. Dr. Kurt Grünewald. Das Ziel, etwas zu erreichen, wäre schon in der Verwaltung der Plattformen „betoniert“. Für Gaugg müsste es Voraussetzung sein, „dass Sozialversicherung und Land auf Landesebene gleichberechtigt sind. Das ist aber nicht in allen Plattformen so, meist hat das Land das Sagen.“ Ob die derzeitigen Strukturen zur Steuerung des Gesundheitssystems in Zukunft bestehen bleiben, ist fraglich. Für die Zukunft könnte sich Kdolsky jedenfalls Veränderungen vorstellen: „Ich glaube, dass wir letztendlich in dieser Größe des Landes eine staatliche Steuerung anstreben sollten.“ Dabei müsse den Ländern aber die Angst genommen werden, „dass es um den Wasserkopf Wien geht. Ein verstärktes Einbeziehen der Akteure ist wichtig“, meint Kdolsky. Die gemeinsame Planung wäre der erste Schritt gewesen, nun stelle sich allerdings die Frage, wer diese umsetzt: „Irgendwann ist da die staatliche Kontrolle nötig.“ Schließlich müsse in der Umsetzung der Planungsvorgaben „über ganz Österreich die gleiche Qualitätsebene gezogen werden, auch im extramuralen Bereich“.

Aufhebung der Selbstverwaltung

Ginge es nach Mag. Wofgang Sobotka, niederösterreichischer Finanzlandesrat und Leiter der ÖVP-Perspektivengruppe zur Gesundheitspolitik, sollte das Gesundheitswesen in ein steuerfinanziertes System umgewandelt werden, um einheitliche Bedingungen schaffen zu können: „Wer eine einheitliche Planung und klare Strukturen will, der muss auch für die Finanzierung allein verantwortlich sein“, forderte Sobotka Anfang Juni im Ö1-„Morgenjournal“. „Wir denken, dass die duale Finanzierung natürlich immer wieder Schnittstellen hat, die zu Reibungsverlusten führen. Aus dieser Überlegung ist die Finanzierung aus einer Hand die bessere Möglichkeit, um die Leistbarkeit des Gesundheitssystems auch für die Zukunft zu garantieren.“

Nach Meinung Sobotkas sollten letztlich nicht mehr die Sozialversicherungsträger über die Vergabe der Mittel entscheiden, sondern die Politik: „Das sollte eine Finanzierung sein, wo die Politik die Verantwortung trägt und wo viele andere Organisationen – da ist auch für die Krankenversicherungen Platz – den Service und die Dienstleistungen zu erbringen haben“, meint Sobotka. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Krankenkassen wäre in einem steuerfinanzierten System aufgehoben. „Es kann nicht im Interesse der Versicherten und Beitragszahler sein, ihr Geld den Interessen der kurzlebigen Tagespolitik zu überantworten“, reagiert darauf der Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger und Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse Mag. Franz Bittner. Gegenüber einer Versicherung hätten die Menschen individuelle Ansprüche und Rechte, gegenüber der Politik aber nicht. Außerdem würden internationale Vergleiche zeigen, dass verstaatlichte Gesundheitssysteme in den letzten Dekaden das Problem der chronischen Unterfinanzierung und Leistungsrationierung hatten. Laut Bittner könnten die Sozialversicherungssysteme, die zwar auch mit Problemen konfrontiert sind, im Vergleich zu staatlichen Systemen ein deutlich höheres Maß an Stabilität und Leistungssicherheit für die Patienten bieten. „Wir zahlen schon jetzt nicht nur den niedergelassenen Bereich, sondern wir finanzieren auch noch einen großen Teil des Spitalswesens – und haben trotzdem im Bereich Krankenhäuser kein Mitspracherecht“, empört sich KR Gerhard Hutter, Vorsitzender der ARGE KV (Arbeitsgemeinschaft der Krankenversicherungsträger der Unselbstständigen) und Obmann der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse. „Wenn die Finanzierung aus einer Hand kommen soll, dann können das nur die Krankenkassen sein.“ „Natürlich kann und soll man darüber nachdenken, gewisse Teile des Gesundheitsbereichs, z.B. die Vorsorgemedizin, vermehrt aus dem Steueraufkommen und nicht nur aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zu finanzieren. Durch eine totale Zentralisierung würde jedoch ein Moloch in Wien entstehen, der jeden Anreiz zum effizienten Wirtschaften schon im Keim erstickt“, glaubt Dr. Rudolf Trauner, Präsident der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Das jetzige System habe sich bewährt, weil es die Beitragszahler repräsentiert.

Harmonisierung der Leistungen

„Wir haben in Österreich ein gutes System. Es gibt keinen Grund, das Kind mit dem Bad auszuschütten“, so SPÖ-Gesundheitssprecherin Dr. Sabine Oberhauser auf der Tagung „Konfrontation Gesundheit“ zu Sobotkas Vorstoß. Sehr wohl wäre es laut Oberhauser aber wichtig, die Standortplanung zentral zu steuern: „Es ist schwierig, einem Bürgermeister zu erklären, dass ein Krankenhaus nicht gebraucht wird. Deshalb müssen wir schauen, dass die Planung bundesweit läuft – eine zentrale Steuerung und Planung, die auch den niedergelassenen Bereich einschließt“, ist Oberhauser überzeugt. Auch für den Gesundheitssprecher der Grünen ist eine Finanzierung, die allein von politischen Entscheidungen abhängt, derzeit nicht vorstellbar: „Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt, dann hat eine Partei das Gesundheitssystem in der Hand“, meint Grünewald. „Die Kassen sind Vertreter der Bürger als versicherte Klientel, aber eher theoretisch als praktisch sind sie in die Lenkung miteinbezogen“, so Grünewald, der sich für eine Beibehaltung des bestehenden Sozialversicherungssystems ausspricht. „Verbesserungen sind aber notwendig. Ich würde mir eine Harmonisierung der Leistungen und Beiträge wünschen.“ Der Generaldirektor des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Dr. Josef Kandlhofer, schlägt die Einrichtung eines Steuergremiums vor, das die Grundsatzentscheidungen für das Gesundheitswesen trifft. Dieses soll aus der Gesundheitsministerin und den Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz sowie des Verbandsvorstands bestehen: „Die letzte Reform krankt, weil es kein politisches Steuergremium gibt.“

Von Dr. Alexandra Egger

© MMA, CliniCum 7-8/2007
System

Wie Europas Gesundheitssysteme finanziert werden

Die Gesundheitssysteme in Großbritannien, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland und Portugal werden überwiegend aus Steuermitteln finanziert. In Griechenland Italien und Spanien erfolgt die Finanzierung etwa zu gleichen Teilen aus Sozialbeiträgen und Steuermitteln. In Deutschland, Belgien und Luxemburg decken sich die Kosten des Gesundheitswesens überwiegend aus Sozialversicherungsbeiträgen, in Frankreich sowie den Niederlanden fast ausschließlich. In den Ländern Großbritannien, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien, Portugal, Italien und Griechenland erbringen auch im ambulanten Bereich staatliche Gesundheitsdienste den überwiegenden Teil der Leistungen.

Quelle: Österreichische Ärztekammer

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