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Bayrisch-Kurs für Kinder "Griaß di, griaß di. Mei di mog I gean"

Hilfe, sie sagen Brötchen statt Semmeln! Weil der bayrische Dialekt auszusterben droht, lernen Fünf- bis Siebenjährige in Mundart-Kursen, dass sie besser "geibe Ruabn" zur Karotte sagen. Na freilich.
Von Lena Schnabl
Bayerischkurs mit Brezn: "Freilich, die schaun ganz schö zwida, geh"

Bayerischkurs mit Brezn: "Freilich, die schaun ganz schö zwida, geh"

Foto: Lena Schnabl

Ein blaues Dirndl mit weißen Blümchen trägt Claudia, 7, dazu bunte Turnschuhe. Sie hat sich für den Kurs schick gemacht - oder besser: "fesch", wie es die Lehrerin sagt. Claudia ist eins von fünf Kindern, die seit ein paar Wochen in München "Boarisch" lernen.

"Griaß di. Schee, dass du da bist", begrüßt die Lehrerin die kleinen Teilnehmer. Anders als im Umland geht in München das Bayrische verloren. Viele Kinder wachsen in der Landeshauptstadt auf und sagen dennoch Brötchen und nicht Semmel. Sie hören Dialekt höchstens mal bei der Oma. Bayrisch schickt sich nicht, wirkt auf viele ungebildet und derb. "Nur in der Oktoberfestzeit wird die Lederhose ausgepackt", sagt Lehrerin Julia Reitter. Sie selbst wurde in der Schule wegen ihres Dialekts gehänselt. Sie sei dumm und könne nicht richtig sprechen.

Solche Vorurteile möchte Julia Reitter abbauen. Deswegen hat sie einen Bayrischkurs für Fünf- bis Siebenjährige ins Leben gerufen. "Es geht um die positive Einstellung gegenüber der Sprache und der Kultur", sagt sie und erklärt den Kindern anhand von Fotos das traditionelle Maibaumaufstellen. "Sieht anstrengend aus", sagt Xaver, er trägt ein Fan-T-Shirt des Fußballvereins 1860 München, nachtblau mit aufgedrucktem Löwen. "Freilich, die schaun ganz schö zwida, geh", sagt Julia Reitter. "Zwieda schaun", so beschreibt sie auf Bayrisch grantige Gesichter.

Wie rettet man einen Dialekt?

Dialekte kämpfen in vielen deutschen Regionen ums Überleben. Seit den zwanziger Jahren kommt das Hochdeutsch durchs Radio in die Wohnzimmer - und wurde damit zu einer Sprache, die man als vorbildlich ansieht. Dazu werden die Deutschen mobiler. Wer früher sein ganzes Leben auf einem Dorf gewohnt hätte, zieht heute von Sindelfingen nach Frankfurt und später nach Berlin, München oder Leipzig.

Im Bayrisch-Kurs geht es dieses Mal ums Essen. Die Kinder sitzen auf einer Picknickdecke, Julia Reitter nennt sie "Brotzeitdeckn". Reitter packt Käse, Karotten, einen Apfel, eine Birne und Radieschen in eine kleine Tasche, den "Zauberbeutel". Xaver erfühlt: "Eine Karotte." Reitter sagt: "A gelbe Ruabn." Fünf Kindermünder sprechen nach. Käse wird zum "Kas", die Birne zur "Birn", der Apfel zum "Apfe", die Radieschen zu "Radieserl". Dann ist Gustav dran, den der Kurs Gustl nennt. Nachdem die Kinder das Essen aus dem "Zauberbeutel" gehext haben, ist die Birne etwas "zerbatzelt", also angedrückt.

Mundart-Rettungsaktion in einigen Bundesländern

Bei der Kikus-Methode, mit der Julia Reitter arbeitet, lernen Kinder spielerisch Sprachen. Die Themen haben immer mit ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu tun. Sie lernen zählen "oans, zwoa, drei"; sie malen ihr Traumhaus in "grea" oder "roud"; oder beschreiben ihre Familie, Bruder etwa heißt "Bruada". Die Lerninhalte werden von den Handpuppen Moni und Toni erspielt oder in Liedern erarbeitet. "Aber griaß di, aber griaß di. Mei di mog I gean", trällert die Klasse.

Als nächstes sind die Artikel dran. Dazu fischen die Kinder nach Kärtchen, auf die Essen gemalt ist. Claudia angelt ein Ei und sagt "des Oa". Gustav nimmt das Kärtchen mit einer Tafel Schokolade, die auf bayrisch männlich ist: "der Schoklad". Xaver findet "de Tomaten".

Dialekte sterben oft aus, weil sie für die Kommunikation nicht mehr nötig sind. Auch andere Bundesländer versuchen deshalb, ihre Mundart zu bewahren. In Mecklenburg-Vorpommern hielt Plattdeutsch Einzug in einige Kindergärten. In Hamburg wird die plattdeutsche Sprache an einigen Grundschulen angeboten. Wenn Kinder neben Hochdeutsch noch Dialekt sprechen, verhält sich das wie bei anderen "Fremdsprachen": Das Sprachzentrum im Gehirn wird besser ausgebildet.

Weil die Gruppe "voi guat in da Zeit" ist, können die Kinder am Ende der Stunde noch gemeinsam Brotzeit machen. Julia Reitter hat "Brezen" mitgebracht, und Xaver erzählt, dass er schon auf dem Oktoberfest war und dass dort tausend Betrunkene rumlaufen. Dann werden die Kinder abgeholt. Zu Hause sprechen sie kaum Bayrisch. Aber: "Ein paar Batzen bleiben hängen", sagt Reitter. "Pfiat di", verabschiedet sich Claudia.

Foto: Corbis


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